Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Möglichkeiten wurden allmählich knapp. »Der Junge aus der ›Vieille tante‹, den sie ans Bett gefesselt haben. Irgendwas hat er mit Erik zu tun, und ich muss wissen, was.«
»Ich traue keinem Verräter.«
Nikolas seufzte mit immer noch erhobenen Armen. »Mademoiselle Corbousiere, wie kann ich …?«
»Non«, unterbrach sie ihn schroff. »Dir schon, aber dem hier nicht.« Mit einer hauchzarten Kopfbewegung deutete sie hinter sich, wo Rohn stand, der sie eisern festhielt.
Nikolas verstand. »Er wird keinen Ärger machen, falls doch, werde ich ihn selbst umbringen«, sagte er, die Augen auf Rohn gerichtet.
Der Hauch eines Lächelns umspielte den Mund des Feldwebels.
Claire sagte etwas auf Französisch und die Résistancekämpfer ließen missmutig ihre Waffen sinken.
»Rohn! Nehmen Sie das Messer weg!«, befahl Nikolas scharf. Er selbst war über die Gnadenlosigkeit in seiner Stimme überrascht. Dann ging er auf ihn zu, löste den Griff um Claires Hals und übergab ihr das Messer. Er rechnete damit, dass die Widerständler nun ihre Waffen heben und losfeuern würden. Doch irgendwie musste er die junge Französin überzeugt haben. Sie steckte das Messer in den Gürtel ihrer Hose und die Pistole zurück in das Holster, das über ihrem schwarzen Pullover befestigt war.
»Kommt mit«, sagte die Frau und ging voran.
Gefolgt von den Résistancekämpfern gingen sie in den Nebenraum. Das Zimmer war mit schweren Vorhängen verhangen. Karten und Grundrisse auf Blaupausen lagen auf mehreren Tischen ausgebreitet. Etliche Waffen und Handgranaten stapelten sich in Kisten in der Ecke, zusätzlich zu den Nahrungsvorräten, die auf der anderen Seite untergebracht waren.
»Guter Plan«, flüsterte Rohn, sodass Claire es nicht verstehen konnte. »Wir warten, bis sie unvorsichtig werden, und dann …«
Wutentbrannt packte Nikolas ihn am Kragen. Er spürte dessen Muskeln, als er das enorme Gewicht des Mannes gegen die Wand drückte. »Nichts machen wir. Ich habe ihr mein Wort gegeben.«
Die Franzosen hoben erneut ihre Waffen.
»Wenn ich auch nur das Gefühl habe, dass du mir das vermasselst, bringe ich dich eigenhändig um.«
Erst leise, dann immer durchdringender begann Rohn zu lachen. »Du doch nicht! Das kannst du doch gar nicht.«
Nikolas ließ den Mann los. »Dann mache ich deinen Tod zu meiner Premiere«, brüllte er ihn in einer Intensität an, die Rohns Mundwinkel sofort nach unten schnellen ließ.
Er folgte Claire in ein weiteres Zimmer. Sofort war da dieser Gestank von Wundbrand, Desinfektionsmitteln und Müllbinden. Die Essenz des Todes und der Sterblichkeit lag in der Luft. Claire schaltete das Licht ein.
»Der, nach dem du gesucht hast«, sagte sie kühl.
Tücher hingen über einer Glühbirne, um den Raum abzudunkeln. Trübes Licht beschien die Gestalt auf dem Bett. Trotzdem konnte er den Jungen gut erkennen. Kaum älter als 15 Jahre dürfte er sein. Das Gesicht war überzogen von Hautverätzungen, die sich über seinen Hals bis zu seiner Brust hinunterzogen. Seine verklebten Augen hatte er leicht geöffnet und er wiegte seinen Kopf unter Schmerzen hin und her, sodass Nikolas nur mutmaßen konnte, welche Höllenqualen er durchlitt. Dort, wo man keine Verbände anbringen konnte, übersäten offene, weiße Wunden den in Schweiß gebadeten Körper des Jungen.
»Oh Gott!« Nikolas hielt die Hand vor Mund und Nase, halb aus Schrecken, halb, damit er den Gestank nicht einatmen musste. Er zwang sich, durch den Mund Luft zu holen. »Wer hat ihm das angetan?«
»Ihr«, antwortete Claire hart und wischte sich über die Oberlippe. Der Handrücken war tiefrot. »Ihr habt ihm das angetan.« Sie nahm ein Stück Stoff aus dem Eimer, der neben dem Bett stand, wrang es aus und tupfte damit die nasse Stirn des Jungen, von der sich mehrere Schweißperlen den Weg auf das Kissen suchten. In seinem Arm steckte eine Infusionsnadel.
»Wir wissen nicht, was genau ihm angetan wurde, welches Gift es war. Was wir aber wissen, ist, dass ihr Nazis es wart.« Obwohl der Junge lethargisch zur Decke starte, konnte man für einen Moment Wärme in Claires Augen ausmachen, während sie ihm über das Haar strich. Zumindest so lange, bis sie wieder zu Nikolas sah.
»Marek ist sein Name. Mehr können wir nicht verstehen. Niemand spricht polnisch, zumindest niemand, dem wir vertrauen. Er hat gute Momente, in denen er wach und bei Verstand ist, und schlechte, in denen er vor Schmerzen so lange schreit und um sich schlägt, bis er vor
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