Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Nikolas lächelnd. »Aber bald ist die kalte Jahreszeit vorbei und es gibt wieder frische.«
Claire sah langsam zu Boden, trat noch einen Schritt näher an ihn heran. »Ja«, hauchte sie und ließ ihren Blick über die Pariser Dächer schweifen. »Vielleicht gibt es wieder ein wenig Freude und Schönheit, wenn der Winter vorbei ist. Etwas, für das es sich zu leben lohnt.«
Sie zitterte. Schlafmangel und Stress hatten bei ihr anscheinend ein Loch hinterlassen, was sich nun mehr und mehr mit Kälte füllte, wogegen ihr Körper sich wohl nicht mehr länger wehren konnte. In diesem Moment war die harte, resolute Frau der Résistance verschwunden und zum Vorschein kam ein junges, frierendes Mädchen.
»Darf ich?«, fragte Nikolas vorsichtig und griff dabei an seinen dicken Mantel.
Es musste ein Moment der Schwäche sein oder der Sehnsucht, anders konnte sich Nikolas ihre Reaktion nicht erklären. Zu seiner eigenen Überraschung nickte sie kurz und senkte danach wieder ihren Blick. Mit kalten Fingern öffnete er seinen Mantel und umarmte sie, sodass ihr Kopf auf seiner Schulter lag. Ihre duftenden Haare kitzelten ihn am Kinn und ihr Atem legte sich warm auf die empfindliche Haut seines Halses.
»Es gibt auch jetzt Sachen, für die es sich zu leben lohnt«, flüsterte er ihr ins Ohr. Er spürte, wie sich ihre Brust wölbte, ihren Herzschlag, ihre Atmung.
»Und welche?«
»Wie wäre es mit Momenten wie diesem?« In der Spiegelung im Fenster konnte er erkennen, wie sie ihre Augen schloss.
»Das ist zu wenig, Nikolas«, wisperte Claire. »Mich hat lange Zeit niemand mehr so in den Arm genommen und doch fühle ich nichts. Merde! Alles ist kalt, alles ist grausam.« Die Schale war durchbrochen, wenn auch nur für diesen Augenblick. Jedes ihrer Worte war von Sehnsucht durchzogen. Sehnsucht nach einer anderen Zeit, einer weit zurückliegenden Vergangenheit.
»Dieser Krieg wird noch ewig dauern und vielleicht wird er nichts mehr übrig lassen von dem, was wir als Schönheit, als Menschlichkeit bezeichnen würden. Vieles hat er mir schon genommen, vielleicht nimmt er mir auch noch den Rest. Vielleicht gibt es bald nicht einmal mehr Hoffnung.«
»Hoffnung«, wiederholte er nachdenklich.
Sie wand ihren Kopf in Richtung des Hügels, sodass ihre Wange kurz seine Bartstoppeln streifte.
»Auf welcher Seite stehst du, Nikolas?«
Ihre Blicke verfingen sich, konnten sich nicht mehr lösen.
»Ich weiß es nicht, Claire …«
Bevor sie etwas erwidern konnte, wurden sie von einem lauten Gebrüll auf der Treppe aufgeschreckt. Unter schärfstem Protest wurde Martin von Pascal und Hugo durch die Tür geschoben. Grob hielten sie ihn am Arm, ihre Waffen auf ihn gerichtet.
Sofort stürzte Nikolas auf ihn zu und umarmte seinen Freund so inbrünstig, dass die Arzttasche zu Boden fiel. »Du hast es geschafft, Martin.«
»Ja, aber frag nicht, wie. Musste mich freistellen lassen und alle Gefallen einfordern, damit der Chefarzt mich zwei Tage gehen lässt. Bei uns ist die Hölle los.«
Pascal und Hugo ließen ihre Waffen sinken.
»Sie sind le Docteur?«, wollte Claire wissen und verfiel sofort wieder in ihren rauen, unbarmherzigen Tonfall. Das kleine Mädchen, das nur für einen Moment Wärme haben wollte, hatte sie nun wieder vergraben unter der harten Schicht der Widerstandskämpferin.
Martin nickte ihr zu, anschließend musterte er Hugo. »Habe noch nie einen Schwarzen gesehen«, murmelte er vor sich hin. Dann wandte er sich an die Gruppe. »Ich soll etwas aus einem Jungen herausoperieren. Ein Nervengift. Du sagtest, es geht um Leben und Tod?«
»Geht es auch«, bestätigte Nikolas und führte seinen Freund zu Marek. Sofort öffnete Martin seine Tasche, maß den Puls und leuchtete in die Pupillen des Jungen.
»Hmmm, toxische Vergiftung, Überreizung des zentralen Nervensystems, Schweißausbrüche«, murmelte Martin. »Auch Durchfall?«
Claire nickte.
»Dann steht Atemlähmung und Kreislaufkollaps kurz bevor.« Vorsichtig zog er die Decke herunter.
»Oh Gott.« Behutsambetastete er die eitrige Wunde. »Die Arbeit eines Stümpers. Der arme Junge …«
Mit einem abschätzenden Blick auf die zur Verfügung stehenden Medikamente und Verbandsmaterialien wandte sich der Arzt der Gruppe zu. »Das ist alles? Na gut, ich habe schon unter schlimmeren Umständen operiert. Hat irgendwer Erfahrung im medizinischen Bereich und könnte mir assistieren?«
Nikolas schüttelte heftig den Kopf, während Rohn mit Hugo redete und schließlich
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