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Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)

Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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stand, dass er in Polen eingesetzt gewesen war. Dazu seine Reaktion auf die der Worte des Jungen.
    »Du hast selbst diesem Kommando angehört, oder?«
    Stille, nur das angestrengte Atmen des Mannes war zu hören. Ruhig lag der Feldwebel mit dem Gesicht zur Wand in seinem Bett, aber Nikolas wusste, dass er die Augen geöffnet hatte und tief in seiner eigenen Fantasie spazieren ging. Ein schrecklicher Ausflug in seine Vergangenheit. Seine Stimme zitterte.
    »Das Baulehrbataillon 800 war immer schon eine Art Feuerwehr. Wir gingen dahin, wo wir gebraucht wurden, und löschten das Feuer. Unser Auftrag war es, die arbeitswilligen Polen in Zügen nach Deutschland zu begleiten. Doch sie waren eben nicht arbeitswillig. Sie wurden gezwungen und verschleppt wie Sklaven. Ihre Frauen und Kinder schrien, weinten, bettelten. Aber die Wehrmacht wehrte sie ab, als die Männer in die Züge gedrängt wurden. Doch dann wurden es zu viele. Ganze Massen drückten gegen die Barrieren. Viel zu viele.« Seine Stimme wurde leiser, brach, bis sie schließlich erstarb. Nikolas wollte etwas entgegnen, wollte mehr wissen über den Mann, der so undurchschaubar war wie der trübe Rhein im heimischen Oberkassel. Obwohl sein Mund geöffnet war, verließ kein Wort seine Lippen. Manchmal ist das die klügere Entscheidung.
    »Dann kam der Befehl«, hauchte Rohn stimmlos. »Und wir eröffneten das Feuer.«
    Der Mann richtete sich auf, die Schatten seiner Vergangenheit hatten ihn eingeholt, und es war allein dem Alkohol zu verdanken, dass sie an die Oberfläche kamen. Er weinte nicht, zitterte nicht, starrte einfach geradeaus. Sein Gesicht lag im Halbdunkel.
    »Es ist etwas anderes, einen Soldaten im Feld zu töten.« Es klang wie eine Entschuldigung. »Er weiß, worauf er sich einlässt. Das sind Männer in Uniform. Aber keine Frauen in gepunkteten Kleidern und Kinder mit Stoffmützen.«
    Er presste sich gegen den Kopf, schien bereit, alles zu tun, damit dieser Schmerz endlich aufhörte. »Habe einfach geschossen. In diese bunte und schreiende Wand aus Menschen. Da war dieser Junge, im Alter von Marek, ein bisschen jünger vielleicht, wollte nur seinem Vater helfen und hat es irgendwie geschafft, hinter die Soldaten zu kommen. Ich bekam den Befehl und drückte ab.« Als hätte er sich erschrocken, sah er zu Nikolas. »Aber es war ein Befehl«, warf er schnell ein. »Nur ein Befehl, den ich ausgeführt habe. Das Loch vorn an der Stirn war ganz klein, dafür hat meine Kugel ihm den halben Hinterkopf weggerissen.«
    Eigentlich wollte Nikolas nichts sagen, den Mann reden lassen, einfach reden, um ihm zumindest für den Moment Erleichterung zu verschaffen. Gleichzeitig hasste er sich dafür, dass er so weit hinter die derbe und abweisende Schale des Mannes gedrungen war.
    »Der Alkohol hilft, oder?«
    Keine Antwort, nur Atmen. Schweres, gedankenverlorenes Atmen.
    »Und dann bist du desertiert«, stellte Nikolas ruhig fest.
    »Nicht direkt. Ich dachte, ich könnte es schaffen. Einfach vergessen. Aber die Erinnerungen kamen immer wieder. Und in Ägypten, als die Hitze der Nacht mich nicht schlafen ließ, hielt ich es nicht mehr aus. Kann seitdem nicht mehr schlafen. Wollte einfach verschwinden. Zwei Kameraden kamen, um mich aufzuhalten, wollten alle wecken, Alarm schlagen.«
    Rohn fing an zu lachen. Es war ein verzehrtes, dreckiges Lachen. Der rauchige, schwere Whiskey hatte seine Sinne verklebt und ihm die Zunge gelöst. Wenn man Alkohol brauchte, um die Last der Seele zu ertragen, braucht man ihn ebenso, um einzuschlafen. In diesem Moment musste Nikolas an seinen Vater denken.
    »Habe sie getötet, Kommissar. Ihnen einfach das Genick gebrochen. Es war ganz leicht, gar nicht so schwierig, wie man meint. Knack. Knack. Ich wollte einfach nur weg.«
    Es schauderte Nikolas vor dem Mann, der keine drei Meter entfernt lag. Er traute sich nicht, seine Augen auch nur für eine Sekunde zu schließen.
    »Ich muss hierbleiben«, nuschelte Rohn, als würde er Nikolas ein Geheimnis anvertrauen. »Ich muss es einfach – es wiedergutmachen, es zumindest versuchen.«
    Was er auf Befehl hin hatte machen müssen, wünschte man seinem schlimmsten Feind nicht. Er hatte es ertragen, bis es nicht mehr ging. Bis er schließlich innerlich explodiert war und nicht mehr viel übrig blieb außer der Schuld. Wenn er verrückt war, dann allein durch das, was der Krieg mit ihm gemacht hatte.
    Würde Rohn sich morgen an dieses Gespräch erinnern? Im tiefsten Inneren hoffte Nikolas es

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