Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
die Dunkelheit hinaus. »Es war meine Schuld! Allein meine!«
Als die Stimme seines Freundes lauter wurde, bis sie nur mehr wenige Schritte entfernt war, wusste er, dass das Urteil über sie bereits gefällt worden war und kein Wort mehr daran etwas ändern würde.
»Martin?«
»Ja. Nikolas?«
Seine Stimme war so dünn und von Angst zerfressen, dass es Nikolas schauderte. Er hatte ihn getötet. Hatte sie alle getötet. Er war nicht da, als Erik ihn am meisten gebraucht hatte. Er war es, der Martin hineingezogen und ihm damit den sicheren Tod bescherte hatte. Er war es, der Luger auf die richtige Spur gebracht hatte. Und bald schon würde Luger Claire finden, dessen war er sich sicher. Dann hätte er auch sie auf dem Gewissen.
Vielleicht war an dem Namen, den ihm die Männer gegeben hatten, wirklich etwas dran. Der schwarze Nikolaus.
Im Hintergrund hörte er Schritte auf dem weichen Boden. Sie stoppten einige Meter entfernt, sodass der Wind jedes Wort davontrug.
»Es tut mir leid, alter Freund«, sagte er.
Martin fing an zu wimmern. Es zerriss Nikolas das Herz, das Schluchzen seines Freundes zu hören. Jedes einzelne Geräusch war wie Säure und fraß sich tief in ihn hinein.
»Meinst du, meine Frau und die Kinder sind in Sicherheit?«, flüsterte Martin unter Tränen. »Meinst du, dass sie sie in Ruhe lassen, dass meine Familie mit dem Leben davonkommt?«
Seine Worte zitterten mit jedem Herzschlag heftiger. Unter seiner Augenbinde schloss Nikolas die Lider. Er dachte an Martins Frau, die beiden Kleinen. Wie lang würde es dauern, bis die SS oder die Gestapo sie fände? Waren sie schon auf dem Weg? Er hatte seinen Freund herausgerissen aus seinem Leben. Dafür war ihm die Hölle gewiss und selbst dieses Feuer war nicht Bestrafung genug für seine Taten.
Nein, Martin. Es tut mir leid. Auch die Familien der Verräter werden hingerichtet. Sippenhaft. Erbsünde. Die kriminellen Gene ausrotten, sagt der Führer. Du weißt das, alter Freund. Du weißt das.
»Ihnen wird nichts passieren«, log Nikolas und versuchte Stärke in seine Stimme zu legen. »Du musst dir keine Sorgen machen.«
Die Gewehre wurden durchgeladen.
Langsam verstummte das Wimmern neben ihm.
»Dann ist es gut. Leb wohl, Nikolas.«
»Leb wohl, Martin. Es tut mir leid.«
*
26. Oktober 1938, Düsseldorf
Es ist kalt. Bitterkalt. Selbst der schnelle Laufschritt kann meinen Körper nicht erwärmen. Die Quirinstraße liegt nur einen Steinwurf vom Haus meines Vaters entfernt und trotzdem kommt mir der Weg dorthin unendlich lang vor. Im Schein der Lampen baut sich endlich die Oberkasseler Auferstehungskirche vor mir auf. Unverputzte Backsteine schimmern rötlich in die Nacht und bilden einen scharfen Kontrast zu den grünen Ziegeln des Daches. Der in den Himmel ragende Turm wirkt wie ein Novum, als wollte er versuchen, die Dunkelheit zu verdrängen, während sich das Pfarrhaus und der Gemeindesaal an den Komplex schmiegen. Die Bäume haben ihre Blätter verloren, als wollten sie vor der Kirche einen goldenen Teppich für mich ausbreiten. Noch einmal atme ich durch, dann klopfe ich an die Tür.
Martin öffnet mit ernstem Gesichtsausdruck.
»Wie geht es ihm?«, will ich ohne Umschweife wissen.
Er macht einen Schritt zur Seite, rückt die Hornbrille zurecht. »Habe seine Wunden versorgt. Nun ja, zumindest so gut, wie ich konnte. Er will nicht ins Krankenhaus, keinen fertigen Arzt sehen. Liegt im Bett und betet.«
Ich lege meinen Mantel ab und trete in die Wärme des Pfarrhauses. Hier sind wir oft gewesen in den letzten Wochen. Sehr oft. Taten unser Möglichstes, und es war dennoch viel zu wenig.
»Und Erik?«
Martin lächelt gequält aus seinem runden Gesicht. »Du weißt doch, er ist ein harter Brocken.«
Zusammen gehen wir in die erste Etage. Kein Licht erfüllt mehr die Räume, lediglich der flackernde Kerzenschein führt uns zu dem Zimmer. Die Tür ist geöffnet. Leicht lehne ich mich in das Schlafzimmer und klopfe zaghaft am Rahmen.
»Guten Abend, Herr Stuckmann«, sage ich so leise wie möglich.
Erik sitzt am Bett seines Vaters und hält Marie in Decken gehüllt in seinen Armen.
»Sie schlafen beide«, entgegnet er mit fester, klarer Stimme und steht auf. Seine blonden Haare hat er wachsen lassen, sodass sie nun beinahe den Hemdkragen berühren.
Ich mache ein paar Schritte in den karg eingerichteten Raum. Einfache Kreuze zieren die Wände, daneben ein paar Fotografien. Der schwere Schreibtisch ist überladen mit
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