Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
schließlich. »Es geht um viel mehr.«
Er hatte genug von den Spielchen, war diesen Weg gegangen, war der Brotkrumenspur im finsteren Wald gefolgt und schließlich hier angekommen. Seine Stimme war wieder fest und klar. Er betonte jedes Wort. »Ihr seid die geheimnisvollen Beziehungen des Generals, oder? Ihr habt ihn informiert, weil ihr den Zylinder haben wolltet.« Er holte tief Luft. »Was ist das Projekt Dunkle Wolke?«
Claire lehnte an der Wand. Sie starrte auf die Holzbretter mit denen das Fenster zugenagelt war, als könnte sie durch sie hindurchsehen. »Wie viel hat von Stülpnagel dir erzählt?«
»Sehr viel, denke ich. Er erzählte vom Planspiel des Oberkommandos, im Falle eines alliierten Angriffs auf die Normandie. Dass Heydrich Varusbachs Plan umsetzen will und dass dieser gestoppt werden muss.«
»Um jeden Preis«, flüsterte Rohn gedankenverloren.
»Warum?«, raunte Nikolas mit zunehmender Aggressivität in der Stimme.
»Sacrément! Wir kennen nicht alle Einzelheiten«, schrie Claire niedergeschlagen. Ihr französischer Akzent brach jetzt völlig durch. »Vor etlichen Monaten hat eine Gruppe von Forschern der IG Farben zufällig eine neue chemische Verbindung entdeckt. Sie arbeiteten eigentlich an einer Verbesserung von … wie heißt das?«, wollte sie in Richtung Rohns wissen.
»Kautschuk«, half er und übernahm den Part. »Doch bei ihren Forschungen mit Phosphorsäureester stießen sie auf Unregelmäßigkeiten, auf Anomalien, auf andere Ergebnisse als erwartet. Schnell erkannten sie das Potenzial dieses Stoffes – und auch seine Gefährlichkeit. Natürlich wurden ihre Forschungen sofort unter höchste Geheimhaltung gestellt. Sie bekamen, in Anlehnung an den Sonderausschuss C, der zur Entwicklung chemischer Kampfstoffe eingesetzt war, den Namen SA DW. Sonderausschuss Dunkle Wolke. Die Gruppe bestand aus Varusbach, Stuckmann, zwei weiteren deutschen und einem französischen Chemiker. Doch je mehr Ergebnisse sie erzielten, desto mehr kippte die Stimmung bei manchen der Forscher, weil sie sie für zu gefährlich hielten. Sie wollten die Resultate zerstören.«
»Erik«, hauchte Nikolas.
Zur Bestätigung nickte Claire beiläufig. »Und es gab andere, die sie weiter vorantreiben wollten. Nun ja, zumindest versuchten sie es.« Claire zog einen Mundwinkel nach oben, als erinnerte sie sich an eine große Genugtuung zurück.
»Die drei toten Chemiker«, stellte Nikolas fest.
Kurz sah sie ihn an, dabei funkelten ihre Augen. Das war Antwort genug. »Varusbach schaffte es trotzdem, ihre Arbeit weiterzuführen, und ihm gelang, wovor dein Freund von Anfang an gewarnt hatte«, fuhr sie mit ihrer Erzählung fort, lehnte dann ihren Kopf nachdenklich gegen die Wand.
Rohn atmete tief, fuhr schließlich fort. »Er kombinierte ihn mit verschiedensten Phosphorverbindungen und schuf so einen neuen chemischen Kampfstoff. Danach ist dein Freund verunglückt. Wir denken nicht, dass es ein Unfall war. Die SS hat die dumme Angewohnheit, ihre Top-Leute auf jede erdenkliche Weise zu überwachen. Als dein Freund ihnen zu gefährlich wurde, haben sie ihn aus dem Weg geräumt. So konnten sie weiter an dem Kampfstoff arbeiten. Varusbach nannte ihn Sarin-Beauté. Wahrscheinlich aufgrund der Reinheit und klaren Struktur.«
»Nein«, widersprach Nikolas leise und schüttelte ungläubig den Kopf. »Es gibt einen anderen Grund, warum er das französische Wort für ›Schönheit‹ benutzte.« Vor seinem geistigen Auge saß Varusbach ihm gegenüber und hielt einen Monolog über die Schönheit des Seins.
Dieser heuchlerische Hund! Er muss gewusst haben, dass Erik es nicht ertragen konnte, wofür seine Forschungsergebnisse benutzt werden sollten. Nikolas schloss die Augen, versuchte sich Eriks letzten, qualvollen Abend vorzustellen.
Du hattest Angst, alter Freund. Irgendwann muss die Verzweiflung so groß gewesen sein, der Druck auf deinen Schultern so unmenschlich, dass du es nicht mehr aushieltest. Hast hastig einen Brief geschrieben, deine letzten Zeilen auf Erden. Du musst herausbekommen haben, wie sie dich überwachen. Hast gesehen, dass das Netz um dich immer enger wurde, dass es keinen Ausweg mehr gab. Wie auch immer sie es geschafft haben, sie wussten alles über dich. Voller Panik bist du geflüchtet, hast Marie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, sie in den Wagen gesteckt und bist losgefahren. Hast gehofft, dem Arm der SS so noch entkommen zu können. Du hast geschworen, dass du sie beschützt, Erik. Du
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