Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
musstest dich an diesen Schwur halten. Koste es, was es wolle. Und dann muss es passiert sein. Sie haben dir aufgelauert, haben dich überwacht. 24 Stunden am Tag warst du im Fokus der Gestapo und SS. Haben sie dich von der Straße abgedrängt? Vielleicht beschossen? Wie viele Wagen waren es? Wie viele hetzten dich durch die pechschwarze Düsseldorfer Stadt? Drei, vielleicht vier? Marie muss in den letzten Sekunden schrecklich geweint haben …
Nikolas schüttelte den Gedanken ab. Er brauchte ein paar Augenblicke, um aus seinen Überlegungen in die Gegenwart zurückzukehren. »Was ist so gefährlich an diesen Kampfstoffen?«
»Giftgas wurde bereits im Ersten Weltkrieg verwendet«, beantwortete Rohn die Frage, immer noch in dem Stuhl zurückgelehnt. »Zuerst fing es mit Tränengas an. Dann setzten sie Chlorgas ein, das schwerer als Luft ist und sich so in die Schützengräben senkte. Glaub mir, Kommissar, ich weiß, wovon ich rede.«
In seinen Gedanken war er wieder in der Vergangenheit und brachte für einen Moment die grausamen Erinnerungen seiner Kindheit zurück. »Ist nicht schön, wenn du als 17-jähriger die blinden Soldaten siehst, wie sie mit Hautverätzungen zurückkommen, sodass man beinahe kein Gesicht mehr erkennen kann und nur noch in fleischige Furchen blickt.« Rohn stand auf, sammelte nacheinander die Handgranaten ein, die im Raum verstreut waren. Dabei redete er unbekümmert weiter, als würden sie eine Konversation über das Wetter führen.
»Doch das war längst nicht das Ende. Bald schon war ihnen das nicht mehr genug. Sie begannen mit den Maskenbrechern. Das sind Nasen- und Rachenkampfstoffe, die die Soldaten zwingen sollten, ihre Schutzmasken abzunehmen. Sie drangen einfach durch die Filter durch. Die Männer husteten, würgten, kotzten und zogen schließlich die Schutzmasken ab. Damit konnten andere Stoffe, wie Grünkreuz, ungehindert in ihre Lungen eindringen, was ihnen schließlich den Tod brachte. Ein langer, schmerzvoller Todeskampf. Ich habe die Leichen gesehen, die sie zurückbrachten. Die Gliedmaßen waren verdreht, die Augen weit aufgerissen und ihr Hälse waren von Kratzwunden übersät, die sie sich selbst zugefügt hatten.«
Langsam wurden seine Sätze leise, bis sie sich schließlich ganz verloren. Mit ruhiger Hand legte er die Granaten wieder in die Kiste.
Nikolas konnte nicht glauben, was er eben gehört hatte. Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl sinken und schlug die Hände vors Gesicht. »Warum werden diese Kampfstoffe heute nicht mehr eingesetzt?«
Rohn lächelte matt.
»Gibt verschiedene Gründe. Zum einen ist es militärisch nicht zweckvoll. Man kann die Ausbreitung der Giftgaswolken nicht kontrollieren.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn der Wind dreht, sind die eigenen Soldaten betroffen. Dazu gibt es noch die Abschreckung, die Überschreitung einer Grenze – das will keiner riskieren. Wenn wir es einsetzen, werden die anderen es auch tun. Zusätzlich ist es durch das Genfer Kriegsprotokoll verboten.«
Claire lachte verächtlich auf. »Als ob die Deutschen sich daran halten würden.«
Rohn ignorierte ihren Einwand. »Außerdem verfliegt es schnell, zumindest die Kampfstoffe, die wir kennen. Anders scheint es mit diesem Sarin-Beauté zu sein.«
Nikolas sah dem Mann direkt in die Augen. Er hatte Aufträge in ganz Europa durchgeführt. Furchtlos und ohne Skrupel andere Soldaten erschossen und nun saß er hier, die Hände auf die Armlehne des Stuhls gestützt und in seinen Augen hatte sich Angst eingenistet. Allzu menschliche greifbare Angst.
»Warum ist dieser Stoff so gefährlich?«
»Anscheinend ist er nicht flüchtig wie andere Kampfstoffe. Kann Tage, ja wochenlang in der Luft bleiben, bei entsprechender Dosierung. Er setzt sich überall fest. Er dringt direkt in Masken ein, selbst Schutzräume sind nicht sicher, kleinste Mengen reichen aus, um die Sauerstoffversorgung des Körpers zu unterbrechen. Dem Teufelszeug ist selbst mit Atropin nicht beizukommen, das man bei üblichen Kampfstoffen spritzt. Mit den Aggregat-4-Trägerraketen kann Hitler theoretisch ganze Armeen einräuchern. Wenn dieses Projekt fertiggestellt wird, sind zudem die Verluste unter der Zivilbevölkerung unvorstellbar groß.«
»Ist das Heydrichs Plan zu Dunkle Wolke? Armeen auf ihrem Vormarsch zu stoppen?«, platzte es aus Nikolas heraus.
Rohn machte eine Pause, als ob er sich erholen müsste.
»Das können wir nicht sagen«, antwortete Claire, als sie erkannte, dass Rohns
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