Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
eine Silhouette.
»Ich dachte, dass dies nur Jugendliche machen«, erklärte Nikolas herausfordernd und mit fester Stimme, mit beiden Händen auf die Werkbank gestützt.
»Alles ist gut, um den Nazis Angst einzujagen.« Claires Schritte waren langsam, als sie aus der Dunkelheit trat. Das flackernde Licht der Petroleumlampen verlieh ihrem Gesicht einen bronzenen Teint. Eingerahmt wurde es von den offenen, nassen Haaren.
»Du sagtest ›den Nazis‹?«
»Hm?«, unwillkürlich legte sie die Stirn in Falten und wickelte ihre Haare in ein Handtuch ein.
Nikolas fiel auf, dass auch der schwarze Pullover durchnässt war. »Du sagtest ›den Nazis‹, anstatt ›den Deutschen‹.«
Sie überging seinen Kommentar und gesellte sich zu ihm. Gemeinsam betrachteten sie den kleinen Strauß.
Es war Zeit, Antworten zu bekommen. Er hatte genug von dieser Scharade, von diesem Maskenspiel. »Stehe ich gerade mit Pâquerette im Raum?«
Der Blick der beiden verharrte auf den Blumen.
»Dreh dich bitte um, Nikolas.«
»Wie bitte?«
»Ich will mich umziehen«, sagte sie wie selbstverständlich und löste bereits den Gürtel.
»Natürlich.«
Er spürte, wie diese wenigen Worte selbst in dieser Kälte auf einmal Hitze in ihm hochstiegen ließen und sich rote Flecken auf seinem Gesicht bildeten. Er entfernte sich ein paar Schritte von den Koffern und drehte Claire den Rücken zu.
Selbst durch das Rauschen des Regens konnte er den Anflug eines Lachens vernehmen.
»Du glaubst also wirklich, dass ich Pâquerette bin?«
Auch wenn er es nicht wollte, konzentrierte er sich auf die Geräusche, die von Claire ausgingen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie langsam die nasse Hose von ihrer Hüfte streifte, wie ihre Beine im warmen Schimmer der Lampen glänzten. Nikolas musste sich konzentrieren, um ihre Frage zu beantworten und seine Gedanken zu bändigen. Er sprach in den leeren Raum. »Es würde vieles zusammenpassen, oder?«
»Wie meinst du das?«, erklang ihre Stimme durch den Stoff des Pullovers.
»Nun ja, vor ein paar Jahren wurden deine Eltern …« Einen Moment hielt er inne.
»… von den Nazis erschossen?«, vervollständigte Claire beißend. »Das kleine Mädchen konnte den Tod ihrer Eltern nie richtig verarbeiten. Getrieben von einem tiefen Hass auf die Mörder ihrer Eltern tauchte sie in den Untergrund ab und baute dort ein Netzwerk auf, das sogar bis in die alliierten Geheimdienste reicht. So etwa, Kommissar?«
Zum wiederholten Male fiel er in ihrer Gegenwart von einem Gefühl ins nächste. Er hasste es, wenn Menschen ihn so einfach durchschauten. Nikolas kaute auf der Unterlippe. »Du musst zugeben, dass sich das plausibel anhört.«
Er konnte dieser allzu verlockenden Versuchung nicht mehr länger widerstehen. Langsam, als würde diese Bewegung verräterische Töne hervorrufen, drehte er seinen Hals. Nur einen kurzen Blick …
Sofort spürte er die gezackte Klinge an seiner Kehle. Ihr Arm legte sich dabei um seinen Bauch und zog ihn an sich heran.
»Wenn dies so wäre«, hauchte ihm Claire ins Ohr, »dann müsste ich das Messer durchziehen, d`accord? Und es wäre ziemlich dumm von dir, mir jemals den Rücken zuzukehren.«
Nikolas schluckte. Die Kälte des Messers an seinem Hals stand in einem grotesken Kontrast zu der Glut ihrer verführerisch gesprochenen Worte.
»Wie viel stimmt von dieser Geschichte?«, wollte Nikolas mit sanfter Stimme wissen.
»Viel«, hauchte sie. »Nur eine Sache nicht. Pâquerette hat mich gefunden. Als ich voller Zorn in die Résistance eintrat, wollte ich jeden Deutschen töten, der mir über den Weg lief. Ihnen einfach den Hals aufschlitzen.« Sie spielte mit dem Messer, ließ es kratzend über die sensible Haut fahren. »Bei ein paar einfachen Soldaten hat es auch geklappt. Ich spielte den Lockvogel und während die Soldaten abgelenkt waren, wurden sie vom Rest der Gruppe getötet. Beim ersten Mal war es schwierig, die jungen Männer anzusehen, wie ihnen das Blut aus dem Körper fließt und sie nach wenigen Sekunden schon in einer roten Lache liegen. Doch irgendwann waren es für mich nur noch Feinde in braunen und schwarzen Uniformen. Namenlose Verbrecher. Anonyme Mörder.« Sie hielt einen Moment inne, ihre Lippen berührten die empfindliche Haut an der Seite seines Halses. »Wenn man einmal den Hauch des Todes gekostet hat, wird es mit jedem Mal einfacher.«
Ihr heißer Atem brannte in Nikolas’ Nacken. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, doch es lag nicht an dem Messer, das
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