Wunschkonzert: Roman (German Edition)
halten. Ach, hätte ich ihm doch schon vor zwei Wochen was von der Band vorgespielt, die bisherigen Demos sind dafür eigentlich schon gut genug! Aber ich wollte eben, dass sie perfekt sind!
Vor meinem inneren Auge taucht das Bild von Tim auf. Sein hübsches schmales Gesicht, seine braunen Augen, die kurzen dunklen Haare und der lässige Dreitagebart, seine langen, schmalen Finger … Dazu immer echt lässig gekleidet, meist trägt er ein Hemd mit Weste darüber, was vielleicht spießig klingt, bei ihm aber unglaublich locker aussieht. Um den Hals hat er oft einen dünnen Baumwollschal gewickelt, darunter blitzt eine behaarte Brust hervor, was unheimlich männlich wirkt. Doch, der Mann ist ein echter Frauentyp, wenn ich den nicht zum Rockstar mache, verstehe ich die Welt nicht mehr. Ob nun bei Elb Records, World Music oder World Records, Tim und die Reeperbahnjungs sind mein Ass im Ärmel, das ich zum passenden Zeitpunkt ausspielen werde. Ich vergrabe mein Gesicht tief in Möhrchens weichem Bauch, sauge seinen Geruch ein – und bin Sekunden später im Reich der Träume.
3. Kapitel
E inen schönen guten Morgen!« Lutz begrüßt uns betont freundlich, als wir uns am Freitag im Konferenzraum zusammengefunden haben, um dem Antrittsbesuch von David Dressler beizuwohnen. Wie auch in den vergangenen drei Nächten habe ich – trotz Möhrchen – nur sehr schlecht geschlafen und sehe vermutlich auch nicht weniger nervös aus als die anderen. Heute früh bin ich bereits um sechs Uhr aufgestanden, um mich auf das bevorstehende Ereignis gründlich vorzubereiten.
Optisch zumindest, denn inhaltlich habe ich mich in den letzten Tagen vor allem darauf konzentriert, eine sehr beeindruckende Dokumentation meiner bisherigen Erfolge vorzubereiten. Die liegt jetzt vor mir auf dem Tisch, in einer schwarzen, eigens dafür gekauften Präsentationsmappe. Ich habe mir vorgenommen, sie David Dressler im Anschluss an die Versammlung in die Hand zu drücken, damit er sich schon einmal ein Bild von mir machen kann. Mama fand die Idee auch gut, schließlich darf man in so einer Situation wie dieser nichts dem Zufall überlassen.
Auch sonst fühle ich mich perfekt vorbereitet. Mein Styling sieht zwar so aus, als hätte ich heute morgen einfach nur lässig in meinen Kleiderschrank gegriffen und angezogen, was ich zufällig erwischt habe, aber tatsächlich ist alles, was ich trage, neu. Ich hab die Sachen viermal durchgewaschen, damit es nicht so auffällt, wurde aber trotzdem bei meiner Ankunft im Büro von Tobias sofort mit einem »Oh, du warst shoppen?« begrüßt. Zum Glück reichte ein einziger vernichtender Blick, um ihn zum Schweigen zu bringen. Jetzt sitze ich also hier, trage eine enge stonewashed Röhrenjeans von
Cross,
blaue Ballerinas mit dicken grauen Socken (für das Wetter genau genommen zu warm, aber egal), ein blaues Tanktop, an den Armen graue Strickstulpen, die mir bis zu den Ellbogen reichen. Meine glücklicherweise dicken Locken habe ich zu einem tiefen Pferdeschwanz gebunden, ein weißes dünnes Haarband vervollständigt den Look. Ein bisschen IT -girlig, aber trotzdem nicht affig für mein Alter. Die größte Herausforderung war mein Make-up: Die Kunst besteht darin, sich so zu schminken, dass man es nicht sieht und man trotzdem toll aussieht, also doch ein sichtbarer Effekt eintritt. Hat mich heute mit Sicherheit zwei Stunden gekostet, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so lange vorm Spiegel gestanden habe. Und nicht nur, um mich zu schminken – sondern auch, um Dresslers Begrüßung zu üben.
»Hi, David«, habe ich bestimmt fünfzig Mal zu meinem Spiegelbild gesagt, »Stella Wundermann, Senior A&R. Freut mich, dich kennenzulernen.« Auf der einen Seite unbekümmert, auf der anderen seriös und vertrauenerweckend, selbstsicher, tough, aber nicht
zu
tough, eben … Na ja,
eben
halt.
Ich blicke mich unter meinen Kollegen um. Außer mir hat keiner eine Mappe oder etwas Ähnliches dabei, was ich mit leichter Genugtuung registriere. Ein bisschen Mitleid mischt sich auch unter das Gefühl, denn sie alle scheinen beschlossen zu haben, sich einfach in ihr Schicksal zu fügen, statt wie ich aktiv dafür zu sorgen, dass das Schicksal zu ihren Gunsten entscheidet.
»Also, Leute«, unterbricht Lutz meine Gedanken, »dann begrüßen wir mal David Dressler und sein Team.«
Wie?
Ich horche auf. Sein Team? Ich dachte, er kommt allein – hat er jetzt seine gesamte Mannschaft dabei?
Tatsächlich öffnet sich
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