Wunschkonzert: Roman (German Edition)
und ich bin überrascht, wie tief und sonor seine Stimme klingt. Klar habe ich ihn schon vorher mal reden gehört – aber dass er eine regelrechte Bassröhre hat, ist mir dabei nie aufgefallen. In Kombination mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen wirklich mehr als ungewöhnlich. »Ich bin Martin Stichler, fünfunddreißig Jahre alt, Senior A&R-Manager.« Seine Berufsbezeichnung spricht er sehr betont und sehr langsam aus, während er mich aus leicht zusammengekniffenen Augen taxiert. »Meine Eltern sind beide Ostfriesen, was meinen nordischen Dickschädel erklärt. Musik ist auch bei mir eine Familientradition – schon mein Opa«, sagt er mit staatstragender Miene, »konnte ganz hervorragend auf dem Kamm blasen.« Die Umsitzenden grölen vor Lachen, und auch ich kann ein kleines Kichern nicht verhindern. Zugegeben, das war ganz witzig. Aber auch Idioten können witzig sein, das heißt ja nichts.
Zwanzig Minuten später sind wir mit unserer Kennenlernrunde durch, und David Dressler ergreift wieder das Wort.
»Ich kann mir vorstellen«, meint er, »dass ihr euch jetzt alle fragt, wie es in Zukunft weitergehen wird.« Zustimmendes Gemurmel. »Nun, wie ich Lutz schon versichert habe, wird es vorerst keinerlei personelle Veränderungen geben.«
Schon wieder
vorerst.
»Mir ist wichtig, dass wir uns alle erst einmal kennenlernen. Ich sehe eine Firma als Team, als eine Art große Familie. Oder, um es mal fußballerisch auszudrücken: Elf Freunde sollt ihr sein.« Er lacht auf. »In unserem Fall allerdings eher zwanzig.«
»Muss ja auch immer Spieler für die Ersatzbank geben«, wirft Martin Stichler ein und grinst mich dabei unverschämt breit an. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er dafür –
zack! –
sofort einen missbilligenden Blick von David kassiert. Da hat sich der Kollege wohl etwas weit aus dem Fenster gelehnt, vorlautes Gerede scheint bei David Dressler nicht so gut anzukommen. Sofort notiere ich diese Info im Geiste.
»Ich glaube nicht an Ersatzbänke, Martin«, erwidert mein neuer Boss in strengem Tonfall, »sondern an ein ausreichend großes Spielfeld, auf dem alle zusammen zeigen, wie sie das Spiel am besten beeinflussen können.« Dann wendet er sich wieder an uns alle. »Natürlich ist es nicht einfach, zwei eigenständige Firmen einfach so zusammenzuwürfeln. Veränderungen bringen auch immer Verunsicherungen mit sich. Aber auch Chancen.« Wieder nicken alle, und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, hier bei einem Motivationsseminar gelandet zu sein. Fehlt nur noch, dass David Dressler uns gleich auffordert, dass wir gemeinsam unsere Namen tanzen …
Eine Minute später erfahre ich, welche Veränderungen noch auf uns zukommen: »Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich Elb Records und World Music am besten zusammenlege. Da es unfair wäre, wenn nur ein Teil von euch mit einer fremden Umgebung klarkommen muss, habe ich neue Büroräume in der Hafencity angemietet, die wir übernächste Woche beziehen werden. Das ging schon aus Platzgründen gar nicht anders.« Ich lasse meinen Blick unauffällig von Kollege zu Kollege wandern. Die meisten wirken angenehm überrascht, nur Hilde, die aus Norderstedt kommt und somit am anderen Ende der Stadt wohnt, sieht ein bisschen entsetzt aus, aber sonst hat wohl niemand etwas dagegen, von unserem jetzigen Standort in Eimsbüttel ins schicke Szeneviertel zu ziehen. »Es ist wirklich schön da«, erklärt David, »wir haben von dort aus einen wunderbaren Blick auf die Elbphilharmonie und damit in Zukunft eine tolle Inspirationsquelle direkt vor Augen.«
»Wenn sie denn jemals fertig wird«, melde ich mich zu Wort, und wieder lachen alle, was mich natürlich freut. Das imposante Konzerthaus, das auf dem Kaispeicher A entsteht, ist nämlich nicht nur bekannt dafür, Hamburgs teuerstes Millionengrab zu sein, sondern auch, weil der ursprünglich angepeilte Zeitrahmen für den Bau in den vergangenen Jahren doch sehr aus dem Ruder lief. »Da haben bei den Bauarbeiten vermutlich ein paar Italiener mitgemischt«, füge ich hinzu und ernte weiteres Gelächter. Na bitte, geht doch! Ich kann auch so locker und selbstironisch sein wie Martin Stichler!
»Jedenfalls«, erklärt unser neuer Boss, nachdem wieder Ruhe eingekehrt ist, »habe ich ein Unternehmen damit beauftragt, übernächste Woche den Umzug zu organisieren. Am Montag werden sie Kartons anliefern, damit ihr nächste Woche in Ruhe eure Sachen zusammenpacken könnt. Bitte vergesst
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