Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Sekunden später die Tür, und herein kommt David Dressler, circa acht bis zehn Menschen im Gefolge, von denen ich die meisten schon einmal bei dem ein oder anderen Konzert oder auf einer Branchenfeier gesehen habe. Einige meiner Kollegen machen Anstalten, sich zu erheben, aber David Dressler hebt lächelnd die Hände und bedeutet ihnen mit einer Geste, sitzen zu bleiben.
»Aber, aber«, sagt er, und seine Stimme klingt angenehm ruhig und warm, »bleibt bitte sitzen! Das hier ist doch kein Staatsbesuch, sondern ein erstes legeres Kennenlernen.«
Mir klopft das Herz bis zum Hals, und ich muss zugeben, dass sich die Situation gerade durchaus wie ein Staatsbesuch anfühlt. So in der Art, als wäre ich bei Kates und Williams Hochzeit in der ersten Reihe sitzend, unter der Beobachtung von zahlreichen Fotografen und Live-Kameras.
Ehrlich gesagt wüsste ich in diesem Moment nicht, was mir lieber wäre … vermutlich würde ich die königliche Vermählung vorziehen.
David Dressler nimmt auf dem Stuhl direkt neben Lutz Platz, seine Leute verteilen sich auf der langen Fensterbank zu meiner Linken. Aus den Augenwinkeln registriere ich Martin Stichler, der mir zuzwinkert, was ich aber geflissentlich ignoriere. Nix hier Zwinkerei, wir sind Konkurrenten!
Ich konzentriere mich wieder auf meinen neuen Chef. Aus so geringer Entfernung habe ich ihn noch nie gesehen – und hätte ich ihn nicht wohlweislich bereits im Vorfeld gegoogelt, um mich über ihn zu informieren, wäre ich nun vermutlich überrascht darüber, dass er älter ist, als ich bisher dachte. Dressler machte auf den Fotos im Netz mit seiner lässigen Kleidung und seinem Dreitagebart auf den ersten Blick den Eindruck, er wäre Ende dreißig, Anfang vierzig. Höchstens. Nun aber sehe ich, dass er um die Augen doch schon einige Falten mehr hat und seine dunklen Haare an den Schläfen graumeliert sind. Hinter einer stylischen Designerbrille blitzen sehr wache und sehr grüne Augen hervor. Doch, David ist ein extrem attraktiver Mann, das kann man nicht anders sagen, 1962 muss ein guter Jahrgang gewesen sein.
So richtig viel wusste Dr. Google nicht über ihn, außer, dass er aus sehr wohlhabendem Elternhaus stammt, und böse Zungen behaupten, sein Vater hätte ihm genug Spielgeld gegeben, damit er sich in den Medien austoben kann. Wobei er – trotz aller missgünstigen Lästereien – wirklich gut ist mit dem, was er tut. Was er mit World Music auf die Beine gestellt hat: keine schlechte Leistung. Daran kann wohl auch der wohlhabende Herr Vater nichts drehen. Wobei, wenn ich jetzt meine Mutter wäre – was ich ja glücklicherweise nicht bin –, wäre das für mich kein Beweis. Mama hatte schon immer ein Faible für Verschwörungstheorien und geht im Zweifelsfall immer davon aus, dass »die doch eh alle unter einer Decke stecken«. Wer auch immer »die« und »alle« sind und von welcher Decke die Rede ist.
»Ich kann mir vorstellen«, spricht David Dressler weiter, »dass das für euch eine ziemliche Überraschung war.« Zustimmendes Nicken, und ich kann nicht umhin, das Wort
Überraschung
in Gedanken gegen
Schock
auszutauschen. »Aber ich kann euch versichern, dass ihr euch keine Sorgen machen müsst. Bis auf weiteres bleibt erst einmal alles so, wie es ist.«
Aha!
Bis auf weiteres!
Da ist es, das böse, böse Wort!
»Ich gehe zwar davon aus, dass die meisten von euch sich sowieso schon kennen, aber trotzdem schlage ich vor, dass sich jeder von uns einmal kurz vorstellt. Erzählt auch gern etwas Persönliches, so was lockert ein bisschen auf.« Er wirft einen auffordernden Blick in die Runde, aber wir alle starren ihn nur sprachlos an. Sieht nicht so aus, als würde hier einer den Anfang machen wollen. Gleichzeitig denke ich: etwas Persönliches? Was denn, wo ich meinen letzten Urlaub gemacht habe? Wobei das eine gute Frage ist, denn so spontan fällt mir gar nicht ein, wann und wo das war …
»Okay«, meint David lächelnd und unterbricht damit meine Gedanken, »dann beginne ich einfach mal. Also, ich heiße David Dressler, bin seit drei Jahren Inhaber und Geschäftsführer von World Music und freue mich darauf, mit euch allen zusammen World Records zum Erfolg zu führen. Ich bin neunundvierzig Jahre alt, wohne in der Hafencity und spiele in meiner Freizeit nicht wie viele andere in meinem Alter gerne Golf, sondern versuche mit sehr mäßigem Erfolg, das Windsurfen zu lernen. Dabei liege ich mehr im Wasser neben dem Brett, als dass ich darauf stehe.«
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