Wunschkonzert: Roman (German Edition)
ohne Vorwarnung, ohne nichts.« Sie schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Nein, Stella, sei da bitte nicht so blauäugig, jeder ist sich selbst der Nächste, und du solltest dich auf niemand anderen verlassen außer auf dich selbst. Erinnere dich doch bitte mal daran, wie dein Vater …«
»Ist ja auch egal«, unterbreche ich sie, bevor sie wie üblich auf das
Dein-Vater-
Thema kommen kann. Denn obwohl es schon so lange her ist, dass Papa sich davongemacht hat, spricht meine Mutter immer noch gerne und ausdauernd darüber, was für ein Mistkerl er ist. Als Miriam und sie sich mal kennengelernt haben, nahm meine Freundin mich danach zur Seite und sagte:
Mensch, Stella, es tut mir echt leid – ich wusste gar nicht, dass sich deine Eltern gerade erst getrennt haben.
Das war vor über zwanzig Jahren,
korrigierte ich.
Miriam sah mich groß an.
Nee, oder? Also davon, dass man irgendwann Gras über die Sache wachsen lassen sollte, hält deine Mutter wohl so gar nichts, oder?
Nein,
bestätigte ich,
meine Mutter ist eher eine überzeugte Anhängerin der
Ich-verlege-regelmäßig-neue-Tellerminen-
Fraktion.
»Mama, lass das doch jetzt mal«, bitte ich sie, denn tatsächlich habe ich gerade ganz andere Probleme, als über die Charakterlosigkeit meines Erzeugers zu diskutieren. »Wie auch immer die Sache liegt«, fahre ich fort, »ich kann im Moment ja sowieso nichts machen außer abwarten.«
Eins muss man Mama lassen: So schnell, wie bei ihr Gewitterwolken aus Richtung Italien aufziehen, so schnell kommt sie aber auch wieder auf das eigentliche Thema zurück, wenn es nötig ist. »Doch«, sagt sie mit deutlich freundlicherer Stimme, »du kannst dich gedanklich dafür wappnen, dir nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen zu lassen.«
»Was meinst du damit?«
»Zeig deine Zähne! Beweis deinem neuen Chef, was du draufhast! Du musst einfach richtig Gas geben und ihn davon überzeugen, dass er mit dir das ganz große Los gezogen hat.«
Ich seufze.
»Na, na, Kind«, kommt es ein wenig tadelnd, aber auch schmunzelnd aus der Leitung, »du bist doch sonst nicht so mutlos und leicht einzuschüchtern. Jetzt sind Ellbogen gefragt!«
»Okay, du hast wohl recht.«
»Natürlich habe ich das.« Sie lacht.
»Dann werd ich jetzt mal ins Bett gehen, der Tag heute war echt anstrengend.«
»Mach das, mein Schatz. Wir sehen uns dann am Sonntag.« Ich zögere einen Moment, denn für den Bruchteil einer Sekunde schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich meinen Besuch vielleicht elegant mit der Begründung absagen könnte, ich müsse mich jetzt erst einmal sortieren und etwas zur Ruhe kommen. Immerhin hat Mama mich ja jetzt erst recht in Panik versetzt.
»Ja, bis Sonntag«, sage ich dann aber doch. Was bringt es, wenn ich am Wochenende allein zu Hause hocke und mir nur noch mehr Sorgen mache? Andererseits hat Mami mich ja jetzt erst recht in Grübeleien gestürzt, wenn das am Sonntag so weitergeht, kaufe ich mir danach einen Strick. Na ja, damit wäre das Problem dann natürlich irgendwie auch erledigt. Wir legen auf, mein Blick fällt auf Möhrchen. »Alles eine große Scheiße, findest du nicht?« Ich schnappe mir den Hasen und mein leeres Weinglas, werfe mein Kuscheltier im Schlafzimmer aufs Bett, gehe dann in die Küche und stelle das Glas in die Spülmaschine. Anschließend bereite ich die Kaffeemaschine für morgen früh vor, gehe mit einem feuchten Lappen über die Arbeitsplatte und wische sie dann mit einem Küchenhandtuch trocken.
Im Badezimmer stelle ich mich vor den Spiegel und fange an, mir die Zähne zu putzen. Die kleine Sanduhr an der Wand neben dem Alibert sagt mir, wann drei Minuten um sind. Ich spucke die Zahnpasta ins Becken und spüle mit Wasser nach. Jetzt noch das Gesicht reinigen, Nachtcreme drauf und die Haare kämmen – fertig.
Sei nicht so blauäugig,
fallen mir die Worte meiner Mutter ein, während ich mir mit einer Bürste über den Kopf striegele. Ich muss fast grinsen, denn was mir mein Spiegelbild zeigt, ist das Gegenteil von blauäugig: eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und dunklen Augen. Das Erbe meines Vaters – und das Einzige, was mir von ihm geblieben ist. Von meinem Namen jetzt mal abgesehen.
»Ein Stern, der deinen Namen trägt«, singe ich leise vor mich hin, obwohl ich überhaupt kein DJ -Ötzi-Fan bin. Aber seit er vor Jahren diesen Hit hatte, geht mir der Song immer wieder durch den Kopf. Nicht der schönste Ohrwurm, den man haben kann …
Ach ja, und Möhrchen,
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