Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Ein Lachen geht durch die Reihen. »Tja, und das war’s auch schon. Machst du weiter?«, fragt er und nickt einer jungen Frau auf der Fensterbank zu, die sich als Natascha vorstellt, zweiundzwanzigjährige Volontärin bei World Music. »World Records«, verbessert sie sich kichernd und fährt sich nervös mit einer Hand durch ihre langen blonden Haare. »Ich wohne im sogenannten ›Anfängerstadtteil‹ Barmbek«, erzählt sie, und alle lachen. Die meisten jungen Leute wohnen erst einmal in den günstigeren Hamburger Vierteln, bevor sie sich Stück für Stück an die Stadtteile rund um die Alster oder an der Elbe heranarbeiten. »Ich reite sehr gern, komme aber leider nicht mehr so oft dazu.« Sie schlägt sich erschrocken mit einer Hand vor den Mund und läuft rot an. »Das … das«, stottert sie, »sollte jetzt nicht so klingen, wie es das vielleicht tat, ich liebe diesen Job natürlich und …«
»Kein Problem«, wird sie von David in freundlichem Ton unterbrochen. »Wir wissen ja alle, dass unser Job mehr Berufung ist als Beruf.« Wieder erklingt Gelächter, und ich merke, wie ich mich langsam entspanne. Scheint ein netter Kerl zu sein, dieser Dressler. Vielleicht tritt ja doch nicht das Horrorszenario ein, das mir seit Tagen durch den Kopf spukt? »Gut«, erklärt mein neuer Chef und wendet sich von Natascha ab. »Dann erzähl du uns doch mal von dir.«
Während er das sagt, schaut er mich an. Ich schaue lächelnd zurück. Tatsächlich braucht es – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – drei Sekunden, bis ich begreife, dass nun ich an der Reihe bin. Vor Schreck rutscht mir das Herz in die Hose, so unvermittelt trifft mich diese Aufforderung.
»Ähm, ja«, bringe ich stotternd hervor, »mein Name ist Stella Wundermann.« Dann verstumme ich, denn mit einem Mal herrscht in meinem Kopf ein komplettes Vakuum. Blackout, alle Sätze, die ich mir vorher so sorgsam zurechtgelegt habe, sind weg, einfach so, ich weiß absolut nicht mehr, was ich sagen wollte. Und erst recht fällt mir nichts ein, das irgendwie persönlich ist, aber trotzdem nicht
so
persönlich, dass es hier nicht hingehört.
»Stella«, meint David lächelnd, »ist ein wirklich schöner Name.«
»Hm, öhm, danke«, murmele ich und spüre gleichzeitig, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Super, sehr, sehr professionell, was ich hier gerade abliefere.
»Italienische Vorfahren?«, fragt mein neuer Boss freundlich nach. Ich nicke.
»Ja, mein Vater.«
»Schön«, sagt David.
»Aber den gibt’s nicht mehr«, platzt es blödsinnigerweise plötzlich aus mir heraus, ohne dass ich es verhindern kann. Mittlerweile dürfte mein Gesicht die Farbe eines Feuermelders angenommen haben. »Also«, schiebe ich konfus hinterher, »den gibt’s schon noch. Glaube ich jedenfalls, also, denke ich, ich weiß es nicht so genau … Aber er ist abgehauen, als ich sechs war.« Super, das war ja jetzt
überhaupt nicht
persönlich!
Alle Anwesenden schauen mich groß an, die einen erstaunt, die anderen mitleidig. Alle, bis auf Martin Stichler. Der hockt im Schneidersitz auf der Fensterbank und grinst. Was für ein Arschloch! Und was bin ich für eine dumme Kuh, dass ich hier so eine peinliche Performance abliefere? »Aber, immerhin«, rede ich weiter und gebe mir Mühe, wieder einen sachlichen und professionellen Tonfall anzuschlagen, »habe ich von ihm die Liebe zur Musik geerbt, er ist nämlich Konzertpianist.« So, ha! Die mitleidigen Blicke wandeln sich in anerkennendes Interesse, und selbst Martin ist mit einem Schlag sein blödes Grinsen vergangen. Okay, Konzertpianist ist ein bisschen übertrieben, laut Mama hat mein Vater lediglich in runtergerockerten und verrauchten Spelunken gespielt. Und hin und wieder, wenn er ganz viel Glück hatte, als Hintergrundklimperer in einem Einkaufszentrum. Aber ich werde natürlich den Teufel tun, das hier zu erzählen!
»Klingt gut«, meint David Dressler, »Italien und Musik in den Adern, das sind doch tolle Voraussetzungen. Und ich finde es gut, dass du direkt mit den persönlichen Dingen angefangen hast.« Er zwinkert mir zu. »Aber noch mal einen Schritt zurück: Du bist A&R-Manager, soweit ich weiß?«
»Senior A&R-Manager«, ergänze ich und werfe dabei Martin Stichler einen hoffentlich kämpferisch anmutenden Blick zu.
»Stimmt«, mein neuer Chef nickt. »Davon haben wir ja jetzt dann zwei.« Er wendet sich an Martin. »Dann machen wir doch mal mit dir weiter.«
»Okay«, antwortet mein Konkurrent,
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