Wunschkonzert: Roman (German Edition)
übermüdet bin.
»Ich pass bestimmt auf, Mama. Ich bin ja schon groß.«
»Ach, mein Schätzchen«, jetzt nimmt ihre Stimme einen zärtlichen Ton an, »für mich wirst du eben nie groß, sondern immer mein kleines Mädchen sein.«
»Ja«, gebe ich seufzend zurück, »das weiß ich.«
»Ich mache mir eben Sorgen um dich und will, dass es meinem Liebling gutgeht.«
»Mir geht’s gut.« Eine faustdicke Lüge. Das bestätigt mir auch ein kurzer Blick in den Rückspiegel, den ich an einer roten Ampel riskiere. Die Herrin der Augenringe ist eine Schönheit gegen mich, ich sehe echt fertig aus. Zum wiederholten Mal ärgere ich mich über mich selbst. Warum musste ich auch ausgerechnet gestern Abend so unvernünftig sein? Wo es doch ab heute um die Wurst geht!
Die Ampel springt auf Grün, ich gebe Gas und krame gleichzeitig mit der rechten Hand in meiner Tasche auf dem Beifahrersitz herum. Es hilft nichts, die Sonnenbrille muss her, so kann ich meinen Kollegen nicht unter die Augen treten. »Okay, Mama«, sage ich, um sie abzuwürgen, »ich bin jetzt gleich da und muss auflegen.«
»Gut«, antwortet sie. »Aber nicht vergessen: Ruf mich an.«
»Ja«, gebe ich ansatzweise genervt zurück. »Das mache ich!« Wir beenden das Telefonat, ich biege in die Stichstraße ein, an deren Ende das Gebäude liegt, in dem World Music bisher seinen Sitz hatte. Bereits aus der Ferne sehe ich den Reisebus, der davor parkt. Ab jetzt heißt es
No way back
– um mal einen Song der großartigen Foo Fighters zu zitieren.
»Einen schönen guten Morgen!« Nachdem ich mein Auto geparkt habe und mit meinen zwei Koffern zum Bus gerollert bin, werde ich von einem strahlenden David Dressler begrüßt.
»Guten Morgen!«, erwidere ich und stelle mein Gepäck ab. Mein neuer Boss wirft einen fragenden Blick darauf. »Was Größeres vor?«
»Ich bin einfach gern für alle Eventualitäten gewappnet«, gebe ich zurück.
»Verstehe.« Er nickt grinsend. »Eine vorausdenkende Frau, sehr gut!«
»Genau.« Ich freue mich und notiere es im Geiste auf meiner mentalen Pluspunktliste. David Dressler wendet den Kopf nach links, sieht an mir vorbei und begrüßt wieder jemanden. »Guten Morgen!«
»Moin!«, kommt es zurück, und mir fährt sofort der Schreck in die Glieder. War ja klar, dass wir hier zeitgleich einlaufen: Martin Stichler steht hinter mir. Ich drehe mich zu ihm um – und freue mich ein weiteres Mal. Mag ja sein, dass ich etwas angeschlagen bin – aber Martin sieht amtlich scheiße aus! So, als wäre er überhaupt nicht im Bett gewesen. Die Haare verstrubbelt, das Hemd hängt ihm halb aus der Hose, und seine Augen wirken glasig. Dem würde ich auch eine Sonnenbrille empfehlen. Im Gegensatz zu mir hat er lediglich einen mittelgroßen Seesack dabei, den er erschöpft hinter sich herschleppt.
»Na?«, will David von ihm wissen. »Harte Nacht gehabt?«
»Frag Stella«, gibt er grunzend zurück und stolpert dann an uns vorbei zur offenen Bustür.
»Oh!« David mustert mich überrascht. »Ihr wart zusammen auf Tour?«
»Das würde ich jetzt so nicht sagen«, antworte ich und hoffe, dass ich dabei nicht allzu zickig klinge. Mein neuer Chef muss ja nicht wissen, dass ich am liebsten in den Bus springen und Martin den Hals umdrehen würde. Aber im nächsten Moment taucht schon Hilde hinter mir auf, so dass David nicht nachfragt und sie stattdessen begrüßt. Ich mache mich schnell daran, mein Gepäck unten im Bus zu verstauen, dann steige ich ebenfalls ein.
Martin sitzt direkt in der ersten Reihe und betrachtet mich feindselig, als ich die drei Stufen hochgeklettert komme.
»Hast es gestern ja noch nett gehabt«, stellt er bissig fest. Huh, hat der eine Fahne, die rieche ich selbst aus einer Entfernung von zwei Metern!
»In der Tat«, erwidere ich und lächele ihn süffisant an. Der soll bloß nicht glauben, dass er mich verunsichern könnte!
»Freut mich für dich!« Er verzieht spöttisch den Mund. »Aber findest du es nicht ein bisschen albern, hier drin die Sonnenbrille aufzulassen … oder kannst du noch nicht wieder gerade aus den Augen gucken?«
Ohne ein weiteres Wort an den Deppen zu verschwenden, marschiere ich bis ganz nach hinten durch den Bus, denn die meisten alten und neuen Kollegen haben bereits ihre Plätze eingenommen. Ich lasse mich neben Tobias auf einen der Sitze fallen.
»Hi, Stella«, begrüßt er mich und wirkt regelrecht hibbelig. »Freust du dich auch so?« Ich denke kurz an den Idioten in der ersten
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