Wunschkonzert: Roman (German Edition)
laut ist, denn er steht ganz vorne im Bus und spricht in ein Mikro, »ganz in der Nähe des Örtchens Schneverdingen, direkt am Naturschutzpark Lüneburger Heide. Hier werden wir die nächsten sieben Tage miteinander verbringen. Und wenn ihr mal alle nach links guckt«, ich tue wie uns geheißen, »seht ihr auch schon unsere Unterkunft.« Ich muss zweimal hinsehen, weil ich es nicht glauben kann – mir bleibt vor Schreck glatt die Luft weg!
»Aber das ist ja …«, rufe ich entsetzt aus, halte mir dann aber schnell eine Hand vor den Mund, um mich damit selbst zum Schweigen zu bringen.
»Richtig«, bestätigt David Dressler meine düstere Vermutung und sieht dabei so aus, als würde er sich geradezu diebisch freuen. »Das ist eine Jugendherberge. Wir wollen uns hier schließlich auf das Wesentliche konzentrieren, da lenkt uns jeder übertriebene Chichi wie Hotelbar, Restaurant oder Wellnessbereich nur ab.
Back to the roots,
so lautet das Motto in den nächsten Tagen.«
»Geil!«, kommt es von der Seite. Tobias, natürlich. »Ich hab’s ja gesagt: Klassenfahrt!«
8. Kapitel
I ch fasse es nicht.
Ich! Fasse! Es! Einfach! Nicht!
Eine Jugendherberge. Und dann auch noch mitten in der Pampa, das darf doch wohl nicht wahr sein! Nein, das
kann
gar nicht wahr sein! Aber ich fürchte: Es ist wahr. Und mit einem Mal sind sie auch wieder da, die wummernden Kopfschmerzen. Na großartig …
Während ich mit meinen zwei Koffern auf das
Haus der Begegnung
– so prangt es als Schriftzug in großen Lettern über dem Eingang – zurollere, frage ich mich, ob ich nicht lieber gleich hätte kündigen sollen. Denn das hier, da bin ich sicher, wird eine Begegnung der anderen Art werden. Der
völlig
anderen Art! Immerhin scheinen meine Kollegen ebenso geschockt zu sein wie ich, schweigend, hier und da mit hängenden Schultern, tragen sie ihr Gepäck zu unserer Bleibe. Nur Tobias ist ungebrochen fröhlich und tuschelt mit Natascha, die die Lage ebenfalls nicht so tragisch zu finden scheint. Aber bei den beiden ist es ja vermutlich auch erst zwei Jahre her, dass sie aus ihren Kinderzimmern ausgezogen sind, da kann sie eine Jugendherberge nicht schockieren.
Im Eingangsbereich erwartet uns hellgrauer PVC -Boden, auf der linken Seite steht die obligatorische Tischtennisplatte (ich hasse Tischtennis!), rechts ist eine Tür mit der Aufschrift
Speisesaal,
geradeaus scheint es zu den Wohnräumen zu gehen. Ich denke an den Großteil meiner neuen Garderobe in meinen beiden Koffern: die schicken Peeptoes, der elegante Bleistiftrock, das rückenfreie Cocktailkleid – das muss ich alles erst gar nicht auspacken, für dieses Etablissement hätte ich mir lieber einen Jogginganzug und Birkenstocks zulegen sollen. PVC ! Speisesaal! Tischtennisplatte!
Mitten in diesem Szenario der Tristesse hat sich eine dickliche Frau um die sechzig aufgebaut, die eine Kittelschürze trägt und ihre schlohweißen Haare zu einem Dutt hochgesteckt hat. Das wird dann wohl unsere Herbergsmutter sein. Damit liege ich goldrichtig.
»Willkommen im
Haus der Begegnung!
«, schmettert sie uns laut und fröhlich entgegen.
»Hallo!«, kommt es hier und da vereinzelt zurück.
»Mein Team und ich freuen uns sehr, Sie für die kommende Woche bei uns als Gäste begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Renate Becker, und ich leite diese Herberge seit über dreißig Jahren.« Bei dieser Feststellung schwingt unüberhörbarer Stolz in ihrer Stimme mit.
»So sieht’s hier auch aus«, höre ich jemanden flüstern, kann aber nicht ausmachen, wer es ist.
Renate Becker übergeht den Kommentar geflissentlich und lächelt weiterhin nett und freundlich. »Bevor Sie jetzt gleich Ihre Zimmer beziehen, möchte ich Sie kurz mit den Regeln unseres Hauses vertraut machen.« Aus den Augenwinkeln versuche ich, einen Blick auf Martin Stichler zu ergattern. Na, immerhin: Sein blödes Grinsen aus dem Bus ist ihm vergangen, und er sieht ebenfalls alles andere als glücklich aus. »Frühstück gibt es täglich von sieben bis halb acht.« Aber es wird noch schlimmer: »Der Küchendienst sollte also um spätestens halb sieben anfangen.« Ein entsetztes Raunen geht durch den Saal, Oliver, der direkt neben mir steht, sieht so aus, als müssten wir ihn gleich künstlich beatmen. Keiner von uns ist es gewohnt, vor zehn Uhr morgens im Büro aufzutauchen.
»Äh, Küchendienst?«, fragt Martin nach.
Renate Becker nickt. »Ja, damit ist jeder mal dran. Wir werden Sie in Zweier- und Dreiergruppen
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