Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Es ist, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen, alles scheint über mir zusammenzubrechen. Und ich blöde Kuh bin auch noch selbst schuld! Hätte ich doch bloß auf Mama gehört. Sie hat von Anfang an gewusst, dass Martin Stichler nicht zu trauen ist! Und wenn ich schon bei Selbstvorwürfen bin: Hätte ich auch mal auf Miriam gehört. Sie hat gleich gemeint, dass ich Tim die Wahrheit sagen soll. Aber ich habe ja mal wieder alles besser gewusst, Stella Wundermann ist ja in allen Bereichen beratungsresistent.
Andererseits: In dem einen Punkt
habe
ich ja auf meine beste Freundin gehört. Hätte ich das nicht getan, wäre ich auch nicht mit Martin im Bett gelandet und würde mich jetzt nicht so schrecklich verletzt und benutzt fühlen. Ja, Miri ist schuld! Aber genau genommen ist man mit zweiunddreißig Jahren schon ein bisschen zu alt, um die Verantwortung für sein eigenes Handeln einem anderen in die Schuhe zu schieben.
Es klopft leise an meiner Tür, und ehe ich noch brüllen kann, dass ich meine Ruhe haben will, kommt Hilde herein. Sie fragt erst gar nicht, ob mir das recht ist, sondern setzt sich einfach zu mir aufs Bett und streichelt mir über den Kopf. Normalerweise würde ich ihre Hand sofort wegschieben, denn die Geste ist doch ziemlich vertraut – aber in diesem Moment fühlt es sich irgendwie gut an.
»Kindchen, was ist denn los?«, will sie wissen. »Du bist ja total außer dir! Möchtest du mir nicht erzählen, was passiert ist?« Ich schiebe Möhrchen zur Seite, setze mich auf – und im nächsten Moment liege ich meiner Kollegin schon heulend in den Armen.
»Ich, ich«, stottere ich, aber ich muss so sehr weinen, dass ich kaum etwas rausbringe.
»Ssch, ssch«, flüstert Hilde und streichelt mir dabei weiter über den Kopf, während sie mit der anderen Hand meinen Rücken tätschelt. »Jetzt beruhig dich erst einmal, so verstehe ich ja kein einziges Wort.«
Wir sitzen eine Weile einfach nur so da, bis ich einigermaßen meine Fassung wiedererlangt habe. Und so schlecht es mir geht, so sehr genieße ich das Gefühl, wie Hilde mich im Arm hält; es ist fast so, als wäre ich wieder ein kleines Mädchen, dem nichts passieren kann, weil seine Mutter bei ihm ist.
Stockend und zwischendurch mehrfach aufschluchzend erzähle ich meiner Kollegin dann, was passiert ist. Alles bricht aus mir heraus. Alles, bis auf die Tatsache, dass ich mit Martin geschlafen habe, das kann ich Hilde unmöglich gestehen.
»Das gibt’s ja gar nicht«, kommentiert sie, als ich fertig bin, »Martin Stichler ist ja wohl ein echter Mistkerl.«
»Kann man sagen.«
»Dann gibt es nur eine Sache zu tun«, rät sie mir. »Du musst mit David reden. Und danach mit diesem Tim.« Ich seufze.
»Ja, das muss ich wohl, habe ich mir auch schon überlegt.«
Hilde klopft mir aufmunternd auf die Schulter. »Wird schon nicht so schlimm werden, die Sache kannst du doch relativ leicht aus der Welt räumen.«
»Das hoffe ich. Sehr.«
»Ach, Kindchen, mach dir mal nicht so viele Sorgen. Das kommt schon alles wieder ins Lot!«
»Oder es geht alles den Bach runter«, prognostiziere ich düster und schneuze mich dann geräuschvoll mit einem Taschentuch, das Hilde mir eben gereicht hat.
»Unsinn!«, widerspricht sie mir. »Nichts ist so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht. Glaub einer Frau mit Lebenserfahrung.« Sie zwinkert mir zu.
»Es sieht nicht
schlimm
aus, es sieht aus wie eine Katastrophe!«
»Und wennschon.« Hilde lächelt noch immer und zuckt mit den Schultern. »Weißt du nicht, was der griechische Philosoph Epikur Menschen rät, die glauben, dass sie in einer Katastrophe stecken oder alles ganz schrecklich ist?«
»Epikur? Griechischer Philosoph?« Ich gucke Hilde groß und vermutlich einigermaßen verwirrt an.
Meine Kollegin lacht. »Ja, Stella, ich bin zwar
nur
Sekretärin, aber in meiner Freizeit beschäftige ich mich sehr mit Philosophie und Geschichte.«
»Und was rät dieser Epikur?«
»Also, wenn du verzweifelt bist«, erklärt Hilde, »musst du dir einfach nur vor Augen halten, was das Allerschlimmste ist, was passieren kann.« Sie macht eine Pause.
»Dass ich meinen Job verliere?«, mutmaße ich.
Hilde schüttelt den Kopf. »Nein, das Allerschlimmste, was passieren kann, ist der Tod. Im Vergleich dazu ist alles andere harmlos und nicht so wichtig.«
»Das finde ich jetzt ein bisschen drastisch«, gebe ich zurück.
»Ja, sicher, das ist es. Aber es ist auch wahr.«
»Hmm«, mache ich.
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