Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Lügnerin zu sein. Das hätte dein Vater vermutlich ganz gut hinbekommen. Willst du das, Stella? Willst du wirklich so sein?«
Natürlich wollte ich das nicht. Aber das kleine Mädchen in mir hätte schon einen Vater gewollt, der so etwas für seine Tochter macht. Und meine Post wäre dann aus Italien gekommen, was natürlich viel, viel weiter weg von Bremen gewesen wäre als Köln.
»Schreibt auf eure Karten etwas drauf, das ihr einem anderen Menschen wünscht«, werde ich von David aus meinen Gedanken gerissen. »Das sollte so richtig von Herzen kommen, denn das, was wir aussenden, bekommen wir auch zurück.«
»Klingt irgendwie nach abgedrehtem Esokram«, wirft Oliver ein.
»Das kann jeder sehen, wie er möchte«, erwidert David lächelnd. »Und es wird auch keiner von euch gezwungen, hier mitzumachen. Ich persönlich habe allerdings schon oft die Erfahrung gemacht, wie schön es ist, etwas zu geben, und dafür etwas zu bekommen. Deshalb sollt ihr neben dem Wunsch auch eure Adresse auf die Karte schreiben mit der Bitte an den Finder, euch im Gegenzug einen Wunsch zurückzuschicken.«
»Wenn sie denn einer findet«, wende ich im Hinblick auf meine Erfahrungen in der Grundschule ein. Ein Rücklauf von zwei Karten von gut dreißig – genau genommen nur einer, denn Laura und ihr Vater hatten ja getrickst – ist keine wirklich überzeugende Quote.
»Ja, Stella ist unsere Optimistin!«, flüstert Tobias Natascha so laut zu, damit ich es auch sicher mitbekomme.
»Wie dem auch sei«, sagt David, »ihr sollt eure Wünsche aufschreiben, danach binden wir die Karten an Ballons und lassen sie aufsteigen. Renate Becker füllt gerade welche mit Helium und bringt sie uns dann.« Wie aufs Stichwort taucht in diesem Moment unsere Gastgeberin aus der Herberge hinter ihm auf. In der einen Hand hält sie ein Bündel Strippen, an dessen Ende eine große rote Traube aus vielen Ballons in der Luft schwebt, mit der anderen winkt sie uns zu.
»Guten Morgen!«, ruft sie. »Ich binde die hier mal fest.« Sie geht rüber zu dem kleinen Zaun, der das Grundstück vom angrenzenden Wald trennt. Dann winkt sie noch einmal und verschwindet wieder im Haus.
»Ich bin sehr gespannt, was euch einfällt!«, fordert unser Chef uns auf. »Bevor ihr die Wünsche steigen lasst, werdet ihr sie der Gruppe vorlesen. Ich bin sicher, dass die Energie uns alle bereichern wird.«
»Ich hätte noch eine Frage«, sagt Natascha.
»Nämlich?«
»Wir wissen ja nicht, wer die Karte findet. Da ist es doch ein bisschen schwierig, etwas zu wünschen, was wirklich passt. Ich meine, es kann ja ein Mann, eine Frau oder ein Kind sein.«
»Oder ein Wildschwein«, kommentiert Tobias und drückt ihr einen Schmatzer auf die Wange.
»Lasst einfach eurer Kreativität freien Lauf«, erklärt David. »Das funktioniert am besten, wenn ihr etwas aufschreibt, was ihr euch selbst wünschen würdet. Wie gesagt, es sollte aus dem Herzen kommen, und solche Wünsche kennen kein Alter oder Geschlecht.«
Mein Blick wandert rüber zu Tim. Und ich denke automatisch:
Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und mich dann anders verhalten.
In dem Moment fällt mir auf, dass Martin mich blöd angrinst.
Und ich wünschte, ich könnte diesem Idioten vor versammelter Mannschaft eins auf die Fresse hauen.
Aber, nein, das aufzuschreiben ist wohl keine so gute Idee. Als ich mich gerade über meine Karte beugen will, um anzufangen, sieht mich plötzlich auch Tim an. Diesmal schaut er nicht sofort wieder weg, bestimmt drei oder vier Sekunden lang blicken wir uns unverwandt an. Mein Herz beginnt sofort, schneller zu schlagen, ich kann meinen Blick einfach nicht von ihm abwenden. Und dann, kaum merklich, passiert etwas, was ich mir gar nicht zu wünschen gewagt hätte: Tim lächelt.
Verwirrt senke ich den Kopf und fixiere meine Karte. Allerdings herrscht in meinem Hirn schlagartig so etwas wie ein Vakuum, in diesem Moment fällt mir nicht mal mehr meine Adresse ein. Vorsichtig schaue ich noch einmal auf, um mich zu vergewissern, dass Tim wirklich lächelt. Aber wenn er es getan hat, kann ich es jetzt nicht mehr überprüfen, denn er ist nun in eine Diskussion mit seinen Bandmitgliedern und Martin vertieft. Seufzend wende ich mich wieder meiner Karte zu. Dann will ich mal einen Wunsch für Herrn oder Frau Unbekannt verfassen. Dürfte ja nicht so schwer sein.
Hmm.
Ich runzle die Stirn und denke angestrengt nach. Ja, natürlich gibt es da einiges, was ich mir wirklich von
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