Wunschkonzert: Roman (German Edition)
Herzen wünschen würde … aber das werde ich ganz sicher niemandem hier auf die Nase binden und mir dadurch noch einmal eine Blöße geben.
Zwanzig Minuten später fordert David uns auf, einer nach dem anderen vorzulesen, was wir aufgeschrieben haben, unsere Karte dann an einen Ballon zu knoten und sie in den Himmel aufsteigen zu lassen. Hilde steht auf und macht den Anfang.
»Lieber Unbekannter«, liest sie vor, »ich wünsche dir, dass du ab sofort die glücklichste Zeit deines Lebens hast. Das hast du verdient – und zwar nicht, weil du etwas geleistet hast, sondern einfach, weil es dich gibt.«
»Oh, wie schön!«, ruft Jenny, und auch wir anderen klatschen anerkennend.
»Sehr gut«, meint David. »Darüber wird sich der- oder diejenige, die den Ballon findet, sicher freuen.«
Hilde marschiert zu dem Zaun mit den Luftballons, löst eine der Strippen, bindet ihre Karte daran und lässt sie dann los. Wir beobachten, wie der Ballon höher und höher steigt und über die Wipfel des Waldes geweht wird. In mir regt sich ein nahezu feierliches Gefühl. Wirklich eine hübsche Idee, das muss ich zugeben. Vielleicht sind die »Übungen«, die wir hier zusammen machen, gar nicht so schlecht?
»Wer will als Nächstes?«, fragt David.
»Ich!« Tobias springt auf, guckt auf seine Karte und fängt an, vorzulesen. Das heißt, er singt. Oder jault, wie auch immer.
»Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden«,
trällert er den Text des Udo-Jürgens-Klassikers,
»und eine Hand, die deine hält. Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden, und dass dir nie die Hoffnung fehlt. Und dass dir deine Träume bleiben und wenn du suchst nach Zärtlichkeit, wünsch ich dir Liebe ohne Leiden und Glück für alle Zeit.«
Obwohl Tobias das natürlich mal wieder nur als Quatsch meint, merke ich, dass ich trotzdem gerührt bin und einen Kloß im Hals habe, als ich dabei zusehe, wie sein Ballon davonfliegt.
Nach und nach lässt einer nach dem anderen seine Wünsche in den Himmel steigen, und als Tim dran ist, seine Karte vorzulesen, spitze ich natürlich besonders aufmerksam die Ohren.
»Lieber Finder«, trägt er vor, »mit dieser Karte wünsche ich dir, dass du nie aufhörst, an deine Träume zu glauben. Egal, was passiert, egal, welche Hindernisse es gibt, du kannst sie überwinden.« Wieder sieht er zu mir, aber diesmal nicht lächelnd, sondern sehr ernst. Ich muss schwer schlucken. Meint er mich mit
Hindernis?
Doch ehe ich weiter darüber nachdenken kann, springt Martin auf und posaunt den Text seiner Karte in die Runde.
»Wer auch immer das hier findet«, ruft er laut, »dem wünsche ich Erfolg, jede Menge Kohle und den besten Sex seines Lebens! Und das hätte ich gerne auch zurückgewünscht, meine Adresse steht auf der anderen Seite dieser Karte. Wenn du weiblich, bis Mitte dreißig und blond bist und die Maße 90–60–90 hast, kannst du auch gleich persönlich vorbeikommen, statt mir zu schreiben!« Er schüttelt sich aus vor Lachen, dem sich aber diesmal nicht einmal Tobias anschließt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass David leicht resigniert aussieht und die Stirn runzelt.
»Danke, Martin«, sagt er. »Eins muss man dir lassen: Dieser Wunsch kommt vermutlich wirklich direkt aus deinem Herzen. Dann lass dein Kärtchen mal fliegen.« Martin schnappt sich einen Ballon, eine Minute später flattert er zusammen mit der Karte Richtung Himmel. Allerdings kommt er nicht weit, ein Windstoß treibt ihn direkt in den Wald, er bleibt in einer Baumkrone hängen und zerplatzt dort geräuschvoll.
»Tja, Herr Kollege«, kann ich mir nicht verkneifen, etwas schadenfroh zu kommentieren, »sieht so aus, als hätte das Schicksal soeben ein argloses Blondie vor dir gerettet.« Die anderen lachen, selbst Tim kichert, was mich irgendwie freut.
»Wir haben genug Ballons, Martin, schreib einfach eine neue Karte und schick sie noch mal los«, wirft David ein, was mich ärgert, denn irgendwie empfinde ich das als Partei ergreifend. Außerdem stehe ich mit meiner Bemerkung dadurch mal wieder blöd da, ein weiteres Fettnäpfchen, in das ich mit Anlauf gesprungen bin. Martin scheint das ähnlich zu sehen, jedenfalls lächelt er mich süffisant an, beschreibt eine neue Karte und lässt sie fliegen. Diesmal steigt der Ballon hoch in die Lüfte auf und wird vom Wind über den Wald hinweggetragen.
»Dann warte ich mal auf meine Blondine, kann ja nicht mehr lange dauern«, erklärt Martin. Und fügt dann – eine echte Unverschämtheit! – noch
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