Wunschloses Unglück - Erzählung
Herdplatte gestellt wurde, und schließlich das GUTE STÜCK , die fuß- und handbetriebene »Singer«-Nähmaschine; – woran wieder nur die Aufzählung das heimelige ist.
Aber eine andre Methode der Aufzählung wäre natürlich genauso idyllisch: die Rückenschmerzen; die an der Kochwäsche verbrühten, dann an der Wäscheleine rotgefrorenen Hände; – wie die gefrorene Wäsche beim Zusammenfalten krachte! –; ein Nasenbluten manchmal beim Aufrichten aus der gebückten Stellung; Frauen, so in Gedanken, alles nur ja schnell zu erledigen, daß sie mit dem gewissen Blutfleck hinten am Kleid selbstvergessen zum Einkaufen gingen; das ewige Gejammer über die kleinen Wehwehchen, geduldet, weil man schließlich nur eine Frau war; Frauen unter sich: kein »Wie geht’s?«, sondern »Geht’s schon besser?«.
Das kennt man. Es beweist nichts; ist jeder Beweiskraft entzogen durch das Vorteile-Nachteile-Denken, das böseste der Lebensprinzipien.
»Alles hat nun einmal seine Vor- und Nachteile«, und schon wird das Unzumutbare zumutbar – als Nachteil, der wiederum nichts als eine notwendige Eigenheit jedes Vorteils ist.
Die Vorteile waren in der Regel nur mangelnde Nachteile: kein Lärm, keine Verantwortung, keine Arbeit für Fremde, kein tägliches Getrenntsein vom Haus und von den Kindern. Die tatsächlichen Nachteile wurden also durch die fehlenden aufgehoben.
Alles daher nicht halb so schlimm; man wurde spielend damit fertig, im Schlaf. Nur war bei dem allem kein Ende abzusehen.
Heute war gestern, gestern war alles beim alten. Wieder ein Tag geschafft, schon wieder eine Woche vorbei, ein schönes neues Jahr. Was gibt es morgen zum Essen? Ist der Briefträger schon gekommen? Was hast du den ganzen Tag zu Hause gemacht?
Auftischen, abräumen; »Sind jetzt alle versorgt?«; Vorhänge auf, Vorhänge zu; Licht an, Licht aus; »Ihr sollt nicht immer im Bad das Licht brennen lassen!«; zusammenfalten, auseinanderfalten; ausleeren, füllen; Stecker rein, Stecker raus. »So, das war’s für heute.« Die erste Maschine: ein elektrisches Bügeleisen; ein Wunderding, das man sich »schon immer gewünscht hatte«. Verlegenheit, als sei man so eines Gerätes nicht würdig: »Womit habe ich das verdient? Aber ab jetzt werde ich mich schon jedesmal auf das Bügeln freuen! Vielleicht habe ich dann auch ein bißchen mehr Zeit für mich selber?«
Der Mixer, der Elektroherd, der Kühlschrank, die Waschmaschine: immer mehr Zeit für einen selber. Aberman stand nur wie schrecksteif herum, schwindlig von dem langen Vorleben als bestes Stück und Heinzelmännchen. Auch mit den Gefühlen hatte man so sehr haushalten müssen, daß man sie höchstens noch in Versprechern äußerte und sie dann sofort überspielen wollte. Die frühere Lebenslust des ganzen Körpers zeigte sich nur noch manchmal, wenn an der stillen, schweren Hand verstohlen und schamhaft ein Finger zuckte, worauf diese Hand auch sofort von der anderen zugedeckt wurde.
Meine Mutter wurde nun aber nicht endgültig etwas Verschüchtertes, Wesenloses. Sie fing an, sich zu behaupten. Weil sie sich nicht mehr zu zerfransen brauchte, kam sie allmählich zu sich. Die Flattrigkeit legte sich. Sie zeigte den Leuten das Gesicht, mit dem sie sich halbwegs wohl fühlte.
Sie las Zeitungen, noch lieber Bücher, wo sie die Geschichten mit dem eigenen Lebenslauf vergleichen konnte. Sie las mit mir mit, zuerst Fallada, Knut Hamsun, Dostojewski, Maxim Gorki, dann Thomas Wolfe und William Faulkner. Sie äußerte nichts Druckreifes darüber, erzählte nur nach, was ihr besonders aufgefallen war. »So bin ich aber doch nicht«, sagte sie manchmal, als hätte der jeweilige Autor sie höchstpersönlich beschrieben. Sie las jedes Buch als Beschreibung des eigenen Lebens, lebte dabei auf; rückte mit dem Lesen zumersten Mal mit sich selber heraus; lernte, von sich zu reden; mit jedem Buch fiel ihr mehr dazu ein. So erfuhr ich allmählich etwas von ihr.
Bisher hatte sie sich selber nervös gemacht, die eigene Gegenwart war ihr unbehaglich; beim Lesen und Reden nun versank sie und tauchte mit einem neuen Selbstgefühl wieder auf. »Ich werde noch einmal jung dabei.« Freilich las sie die Bücher nur als Geschichten aus der Vergangenheit, niemals als Zukunftsträume; sie fand darin alles Versäumte, das sie nie mehr nachholen würde. Sie selber hatte sich jede Zukunft schon zu früh aus dem Kopf geschlagen. So war der zweite Frühling jetzt eigentlich nur eine Verklärung dessen, was man einmal
Weitere Kostenlose Bücher