Wuppertod
aus ihren blauen Augen
ängstlich an.
Lars Gemmering lachte
überheblich. »Selbst wenn ich stürze,
schlimmstenfalls breche ich mir einige Knochen …«
Jetzt winkte er gelangweilt ab. »Aber so weit wird es nicht
kommen. Wir rennen ein paar Meter auf dem Schwebebahngerüst
herum und als Highlight fährt eine Bahn unter uns über
die Strecke. Und das war's, die Szene ist im Kasten. Kathrin,
bitte. Es ist meine große Chance. Ich werde es allen
zeigen.«
»Und was ist mit
dem Mord an Heiger?«
»Was soll damit
sein?« Seine Miene versteinerte sich. Er fixierte seine
Freundin mit einem kalten, fast lauernden Blick.
»Jemand
versucht, die Dreharbeiten zu behindern.«
Lars Gemmering lachte
auf. »Jemand hatte es auf Heiger abgesehen. Kein Wunder,
Heiger war ein arrogantes Arschloch.« Er schüttelte den
Kopf. »Jeder ist zu ersetzen.«
»Lars - bitte.
Du bist makaber. Das war ein eiskalter Mord.«
»Wie dem auch
sei: Das hat bestimmt nichts mit dem Film zu tun.« Gemmering
legte eine Pause ein. »Bitte mach dir keine Sorgen. Alles
wird gut gehen, und heute Abend lade ich dich von der
Gefahrenzulage, die ich kassiere, zu einem feudalen Abendessen
ein.«
Kathrin wollte noch
etwas erwidern, doch da erschien Tickmann auf der Bildfläche.
Das junge Paar löste sich voneinander.
»Dann lasst euch
mal ansehen«, lächelte Tickmann und betrachtete seine
Darsteller. Sie spielten im Film nur Nebenrollen. Anerkennend
nickte Tickmann und versuchte, die Anspannung der letzten Stunden
zu verdrängen. Beim Dreh musste er einen klaren Kopf bewahren,
musste funktionieren wie eine Maschine, egal, welches
Damoklesschwert über den Dreharbeiten schwebte.
»Macht mal 'ne
Lichtprobe«, rief Tickmann den Beleuchtern zu.
Sekunden später
flammten die starken Scheinwerfer auf. Die großen
Glasflächen der Schwebebahnstation hatten sich anfangs als
problematisch erwiesen, zu groß war die Gefahr von Blendungen
und starken Reflexionen gewesen. Doch sein Team hatte ganze Arbeit
geleistet. »Gut«, lobte er die Beleuchter. »Dann
können wir.« Er gab Gemmering ein Zeichen, der sich von
seiner Freundin mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete,
bevor er sich in Position brachte.
Dass Kathrin Jungmann
Tränen in den Augen hatte, sah Lars nicht.
* * *
Henrike Jochims
fühlte sich schlecht. Wenn sie daran dachte, dann wurde ihr
ganz übel. Prüfend betrachtete sich die junge Frau im
Spiegel. Das Make-up konnte kaum die dunklen Ringe unter den Augen
vertuschen. Die weite, schwarze Bluse, der eng anliegende,
knielange Rock, die schwarzen Strümpfe und die dunklen Schuhe
- alles war perfekt.
Und trotzdem, am
liebsten würde sie den Tag vergessen.
Sie war Witwe. Mit nur
achtunddreißig Jahren. Das klang wie eine Ohrfeige. Sie
schämte sich, wandte sich vom Spiegel im Schlafzimmer ab und
betrachtete gedankenverloren das Ehebett. Hier würde er nie
wieder schlafen. Eine wahnsinnige Beklemmung überfiel sie.
Auch wenn die Ehe mit Hansjürgen zuletzt nur noch auf dem
Papier bestanden hatte. Nein, nie hatte sie ihn in den Tod treiben
wollen. Und genau das war es, was man ihr hinter vorgehaltener Hand
vorwarf. Sie hatte sich einen anderen Mann gesucht, hatte sich dort
das geholt, was Hansjürgen ihr nicht mehr bieten konnte.
Liebe, Zuneigung, Herzklopfen. Und natürlich Sex.
Hansjürgen war so sehr in seinem Beruf als Lehrer aufgegangen.
Nichts sonst hatte ihn interessiert. In den Schulferien verbrachte
er viel Zeit in seinem Arbeitszimmer. Die Schule bestimmte sein
Leben, darüber hatte er sogar seine Frau vernachlässigt.
Lange hatte sie sich das gefallen lassen. Dann aber war sie einer
Torschlusspanik unterlegen, hatte sich einen Freund gesucht.
Hansjürgen hatte natürlich davon Wind bekommen. Nichts
blieb unbemerkt. Leider zu spät.
Es klingelte an der
Tür. Sie atmete tief durch und warf einen Blick auf die
Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde. Das Taxi wartete. Die
Beerdigung ihres Mannes würde der schwerste Gang ihres Lebens
werden. Am liebsten hätte sie sich hier in der Wohnung
eingeschlossen.
* * *
»Und -
Action!« Tickmann sank mit angespannter Miene in seinen
Regiestuhl. Der Ton lief, die Kamera lief und das Filmteam im
Hintergrund hielt sprichwörtlich den Atem an. Tickmann
beobachtete die Darsteller, sie sich gerade am Wupperufer in Szene
setzten. Sie machten einen guten Job.
Lars Gemmering
fühlte sich, als hätte man in ihm einen Schalter
umgelegt. Es war, als würde er sein wahres Ich an den Haken
hängen und in seiner
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