Wuppertod
Die
Gestalt hielt einen Gegenstand in den Händen, der im Licht der
Sonne kurz aufblitzte.
Eine Waffe, dachte
Gemmering. Der Typ hielt eine Waffe im Anschlag! Und jetzt zielte
die Gestalt. Und zwar auf ihn. Die Gedanken in Lars Gemmerings Kopf
fuhren Karussell.
Er dachte an die
Warnung seiner Freundin, dachte an den toten Tim Heiger. Jemand
hatte es auf den Film abgesehen, wollte verhindern, dass es den
Film Wuppertod jemals geben würde. Aber das war doch
unmöglich …
Lars Gemmering riss
sich vom Anblick des Bewaffneten los. Sein schmales Gesicht glich
einer Maske. Mit den Händen ruderte er wild herum, drohte das
Gleichgewicht zu; verlieren. Seine Verfolgerin hatte ihn bald
eingeholt, zwinkerte ihm zu, bedeutete ihm so, weiter zu laufen.
Sonst würde die Szene nicht funktionieren.
Wie angewurzelt stand
Gemmering auf dem Gerüst der Schwebebahn. Jetzt war die Bahn
unter ihnen. Das Gerüst schwankte. Auf der
gegenüberliegenden Seite des Fahrgleises sah er das
Drehgestell der Bahn übergroß heranrollen. Er blickte
zum Flachdach des Bankgebäudes hinüber. Der Schütze
zielte, dann sah Gemmering das
Mündungsfeuer.
Lars Gemmering
ließ sich fallen, wollte der tödlichen Kugel entgehen,
rutschte aus und glitt hart an der Konstruktion ' herunter, sah die
Motoren der Schwebebahn auf Augenhöhe an sich
vorüberrasen. Um Gottes Willen, nur nicht zwischen Schiene und
Rad geraten … Er stieß sich ab, versuchte Halt am
Gerüst zu bekommen. Doch es gelang ihm nicht. Ein brennender
Schmerz durchzuckte seinen Körper, es knirschte in seinen
Schultern, dann glitt er vom Gerüst ab. Als er nach unten
blickte, sah er den Fluss. Die Wupper schien ihm förmlich
entgegenzufliegen. Ein gellender Schrei war das, Letzte, was er
wahrnahm. Dann wurde es dunkel um ihn herum.
8. Kapitel
Taxi?« Henrike
Jochims blickte dem jungen Mann mit tränenverschleiertem Blick
entgegen.
Der Mann im
Türrahmen hatte kurze, dunkle Haare und trug eine beige
Cordhose, T-Shirt, Jeansjacke und ein Baseballcape. Lächelnd
schüttelte er seinen Kopf. »Nein«, sagte Stefan
und stellte sich als Reporter der Wupperwelle vor. Danach bekundete
er der Witwe sein Beileid.
»Die Beerdigung
findet gleich statt«, flüsterte sie tonlos. »Ich
habe nicht viel Zeit.«
»Ich
weiß«, entgegnete Stefan. »Ich habe auch nur ganz
wenige Fragen an Sie, vielleicht ein, zwei
Minuten?«
»Gut«,
nickte Henrike Jochims und gab den Eingang frei.
Er folgte ihr ins
Wohnzimmer und blickte sich unauffällig um. Bücherregale
bis unter die Decke, in der Ecke neben dem Fenster eine
Stereoanlage, unzählige CDs und eine Ledersitzgruppe. An den
Wänden einige naive Gemälde, mit denen Stefan nichts
anzufangen wusste. Einen Fernseher suchte er vergeblich. Typisch
Lehrer, dachte er. In der Ecke stand ein Koffer. Gepackt, wie es
schien. »Sie wollen verreisen?«, fragte er.
Sie kaute auf der
Unterlippe. In ihrem Augenwinkel zuckte etwas, dann nickte sie.
»So hatte ich es geplant. Ein paar Tage Mallorca. Nichts
Wildes, einfach nur mal raus. Abschalten, abtauchen, mal
weg.« Henrike Jochims blickte auf die Armbanduhr.
Dass ihr das Thema
nicht sonderlich behagte, blieb Stefan nicht verborgen. »Die
Sache mit Ihrem Mann tut mir Leid.«
»Sicherlich sind
Sie nicht gekommen, nur um mir Ihr Beileid zu bekunden«,
erwiderte sie ungerührt. Ihr Gesicht glich einer
Maske.
Touché, dachte
Stefan und beschloss, ohne Umschweife auf den Punkt zu kommen.
»Sie hatten eine Affäre mit Tim Heiger, der in der
letzten Nacht erschossen wurde.«
»Ich hörte
von dem Mord, ja.« Die Jochims betrachtete ihn mit lauerndem
Blick und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Haben Sie eine
Idee, wer …«
»Ich«,
stieß sie emotionslos hervor, dann lachte sie humorlos.
»Was denken Sie, Herr Seiler? Glauben Sie ernsthaft, ich
ermorde meinen Freund?« Henrike Jochims schüttelte den
Kopf. »Vergessen Sie es. Nein, ich habe auch keine Idee, wer
dahinter stecken könnte.« Sie bedeutete ihm zu
gehen.
Doch Stefan ließ
sich nicht so leicht abwimmeln. »Hatten Sie vor, sich mit ihm
zu treffen?«, fragte er.
»Natürlich
hätten wir uns gesehen. Wir haben uns immer; getroffen, wenn
er sich in Wuppertal aufhielt.«
»Das mit Ihrem
Mann tut mir Leid«, wiederholte Stefan.
Sie nickte stumm. In
ihren Augen sammelten sich Tränen. Prompt verlief ihr Make-up.
Sie zückte ein Taschentuch und schnäuzte sich die Nase.
»Es ist so schrecklich«, murmelte sie mit
tränenerstickter
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