Wuppertod
Schlachthofs.
Dunkelheit hatte sich ausgebreitet, die Autos auf der
Viehhofstraße fuhren nur Schritttempo. Ab und zu erhellte ein Blitz
für Sekundenbruchteile die Weltuntergangsstimmung. Sie
fröstelte, als sie durch die Fenster nach draußen
blickte.
Mit wenigen
Sätzen berichtete Stefan ihr, was er über Bemberg
erfahren hatte. »Gernot Bemberg ist untergetaucht. Spurlos
verschwunden, und die Mitbewohner der WG halten sich bedeckt. Sie
rauchen Joints, weiß der Geier, wo sie das Zeug her haben,
und offenbar haben die noch anderes auf dem Kerbholz. Und Bemberg
scheint etwas … nun, abgedreht zu sein und will verhindern,
dass Gemmering das Mädchen bekommt.«
»Das ist
allerdings ein Hammer«, räumte Heike ein. »Wir
müssen Kommissar Verdammt informieren.«
»Warte noch ein
bisschen«, erwiderte Stefan.
»Warum?«
»Eine Frage
bleibt noch offen: Hat sich Hansjürgen Jochims
tatsächlich selbst umgebracht? Denk an die Arsenvergiftung,
die das LKA nachgewiesen hat.«
Heike nickte.
»Stimmt«, murmelte sie. »Aber ich glaube nicht,
dass seine Frau da nachgeholfen hat. Sie bekommt ein Kind von Tim
Heiger und hat andere Sorgen, als lebenslang hinter Gitter zu
kommen.«
»Woher willst du
das wissen?«
»Nenn es einfach
mal weibliche Intuition«, erwiderte Heike.
Stefan stöhnte
gequält auf. »Du bringst mich um den
Verstand.«
Sie lachte.
»Dito. Was hast du jetzt vor?«
»Ich bin
unterwegs zu der Freundin von Gemmering.«
»Zu Kathrin
Jungmann?«
»Joker, Schatz.
Was macht das Casting?«
»Es geht hoch
her. Gerade haben sich meine Favoriten geprügelt und sind
jetzt aus dem Rennen.«
»Geht an diesem
Filmprojekt eigentlich irgendwas glatt?«, stöhnte
Stefan.
»Das frage ich
mich auch.«
* * *
Bergische
Schieferfassaden, weiße Tür- und Fensterrahmen sowie die
typischen grünen Schlagläden bestimmten das Bild in
Beyenburg.
Die kleinen
Scheibenwischer des Käfers schwappten eifrig die Wassermassen
beiseite, die gegen die Windschutzscheibe klatschten. Als Stefan
vorbei am Mahnmal Kemna in Richtung Radevormwald fuhr, ließ
er das hektische Großstadtleben hinter sich. Der Motor im
Heck des Käfers blubberte zufrieden, als er das Gaspedal
seines alten Gefährts tiefer durchtrat. In Ermangelung eines
Gebläses hatte Stefan die Dreieckfenster aufgestellt, um ein
Beschlagen der kleinen Scheiben zu verhindern. Vergeblich - und so
wischte er in regelmäßigen Abständen den Beschlag
mit einem Schwammkissen fort, um freie Sicht zu haben. Jemand hatte
mal gesagt, dass Käferfahrer die freundlichsten Autofahrer der
Welt seien: Sie würden stets winken, gerade bei schlechtem
Wetter.
Sattes Grün der
links und rechts ansteigenden Hügel bestimmten nun das Bild.
Ab und zu überholte er einige eifrige Radfahrer, die sich von
dem Regen nicht abhalten ließen. Dann lag linkerhand der
Beyenburger Stausee. Dorfidylle am Rand der Großstadt. Die
Regentropfen prasselten auf die Wasseroberfläche.
Unbeeindruckt schien die Klosterkirche St. Maria Magdalena
über den Schieferhäusern zu thronen. Bei Sonnenschein ein
einmaliges Fotomotiv, dachte der Reporter.
Durch die
Schwärmerei war Stefan so abgelenkt, dass er die richtige
Abfahrt zur Beyenburger Freiheit verpasst hatte.
Er fluchte über
sich selbst, bog an der nächsten Möglichkeit nach links
ab und wendete, ohne die durchgezogene Linie vor der Verkehrsinsel
zu beachten. Dann nahm er die erste Straße nach rechts und
war wieder auf dem richtigen Weg. Die Straße führte
steil bergan und der kleine Boxermotor hatte Mühe, das Tempo
zu halten, das Stefan ihm abverlangte.
Am Obergraben, Am
Untergraben, Beyenburger Furt - das waren die Straßennamen,
die an ihm vorüberflogen. Stefan erinnerte sich lächelnd,
dass die Straße Am Untergraben früher im Volksmund
»Köttelsgasse« genannt worden war, weil entlang
des Mühlengrabens einst hier die Fäkalien aus dem
Obergraben abgeleitet worden waren. Das war mit dem Bau der
Kanalisation im Jahr 1926 vorbei gewesen und nur wenige echte
Beyenburger kannten noch die umgangssprachliche Bezeichnung der
Straße.
Dann hatte er das
kleine Schieferhaus erreicht, in dem Kathrin Jungmann lebte. Er
parkte den Käfer direkt vor der Tür. Es war das Haus
ihrer Eltern, in dem sie eine Etage bewohnte. Bevor er sich auf den
Weg gemacht hatte, hatte er sein Kommen telefonisch angemeldet. Ein
untersetzter Mann Ende vierzig öffnete ihm und betrachtete ihn
misstrauisch.
»Mein Name ist
Stefan Seiler, ich bin mit Ihrer Tochter
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