. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
nicht damit gerechnet, daß bei unseren Nachforschungen etwas herauskommen würde?«
»Jedenfalls nicht so was«, sagte Morse erbittert.
»Nun – wie ich eben schon sagte, du kommst wohl besser her und prüfst selbst noch mal alles nach. Theoretisch besteht natürlich die Möglichkeit, daß es noch jemanden mit demselben Namen gibt. Aber die anderen Angaben passen ja auch alle: Alter, Datum der Aufnahme usw. Das müßte dann schon wirklich ein Riesenzufall sein – halte ich eigentlich für ausgeschlossen. Und meiner Meinung nach gibt es irgendwo einen Punkt, da muß man bestimmte Dinge einfach akzeptieren, auch wenn sie einem noch so unwahrscheinlich vorkommen oder nicht ins Konzept passen.«
»Ich denke gar nicht daran«, sagte Morse trotzig. »Auch Riesenzufälle kommen schließlich vor. Das kannst du nicht bestreiten.« Aber man konnte hören, daß er es mehr aus Verzweiflung als aus Erfahrung sagte.
»Sicher. Ab und zu schon. Ich glaube, die ganze Aufregung jetzt ist meine Schuld. Ich hätte gestern weiter versuchen sollen, dich zu erreichen. Wenn ich es dir am Telefon gesagt hätte, hättest du die Nachricht bestimmt ganz anders aufgenommen. Ich habe es im Laufe des Nachmittags noch ein paarmal probiert, aber als du dann immer noch nicht da warst …«
»Nun mach dir bloß keine Vorwürfe! Für dich mußte es doch wie eine Routinenachfrage aussehen.«
»Aber das war es nicht?« fragte der andere mitfühlend.
»Nein, das war es nicht«, antwortete Morse. »Ich werde versuchen, so schnell wie möglich zu kommen.«
»Gut. Ich bereite den Papierkram für dich vor.«
Chief Inspector Rogers vom New Scotland Yard legte den Hörer auf. So ganz verstand er immer noch nicht, was an der Information, die er Morse am Vortag brieflich übermittelt hatte, so katastrophal sein sollte. Ihm war sie als vollkommen harmlos erschienen. Der Durchschlag des Briefes lag noch auf seinem Schreibtisch, und er überflog ihn noch einmal.
Vertraulich
zu Händen Detective Chief Inspector Mo r se
Thames Valley Police
Kidlington / Oxon.
Lieber Morse,
bezüglich Deiner Bitte, festzustellen, ob eine gewisse V a lerie Taylor sich vor zwei Jahren in einer der Abtre i bungskliniken aufhielt, kann ich Dir jetzt endlich einen Erfolg melden. Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, aber die Nachforschungen erwiesen sich als schwi e rig. Das Pr o blem ist, daß es sehr viele nicht zugelassene, sogenan n te › Privatkliniken ‹ gibt, die unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Gegen horrende Bezahlung, versteht sich! Aber das nur nebenbei. Wir wi ss en jetzt, welche Klinik das Mädchen aufsuchte. Es ist die East Chelsea Entbi n dungsklinik. Das Datum, das Du uns nanntest, stimmte. Sie wurde am Dienstag um 16.15 Uhr aufg e nommen und am Freitag derselben Woche entla s sen. Sie fuhr mit dem Taxi weg. Übrigens hat sie dort unter ihrem richtigen Namen gelegen. Die Schwangerschaft bestand seit drei Monaten; der Eingriff verlief ohne Komplikationen. Die uns übermittelte Beschreibung trifft auf das Mädchen in allen Punkten zu. Wir können aber sicherheit s halber noch weitere Nachforschungen anstellen, wenn du es für no t wendig hältst – uns sind Name und Adresse ihrer Zi m mergeno s sin bekannt. Sie könnte vielleicht noch genauer Auskunft geben. Wir erwarten weitere Anweisungen!
Herzliche Grüße
P. S. Falls Du herkommen solltest, vergiß nicht, bei mir hereinzuschauen. Das Bier in Westminster ist trinkbar – hal b wegs!
Rogers legte das Blatt achselzuckend beiseite. Aber Morse war schon immer etwas merkwürdig gewesen.
Morse lehnte sich in seinem Ledersessel zurück. Er fühlte sich, als habe man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Andererseits – Scotland Yard war auch nicht unfehlbar. Irgendjemand dort mußte die Sache verpatzt haben. Anders war es gar nicht denkbar. Aber wie auch immer – er würde von seinen Plänen für heute nachmittag Abstand nehmen müssen. Es war ja auch unsinnig, zwei Leute zum Verhör vorführen zu lassen, weil er sie verdächtigte, ein junges Mädchen umgebracht zu haben, wenn dieses zu einer Zeit, wo er es tot im Kofferraum eines Wagens liegend gewähnt hatte, quicklebendig in einer Londoner Abtreibungsklinik aufgetaucht war. Ein paar Sekunden lang überlegte Morse, ob er die Information, die er soeben erhalten hatte, vielleicht doch ernst nehmen sollte. Aber er brachte es einfach nicht fertig. Es konnte nicht
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