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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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schloß die Augen. Idiot! Idiot! In Wahrheit war doch alles so einfach. Lewis hatte den Stapel Schulbücher in dem Abstellraum in der Schule gefunden und versichert, obendrauf sei kein Staub gewesen; und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als seinen getreuen Sergeant anzuschnauzen. Selbstverständlich war obendrauf kein Staub gewesen! Jemand hatte das oberste Schulheft von diesem Stapel vorher weggenommen; und auf diesem Heft hatte zweifellos dick Staub gelegen. Das konnte nicht lange her gewesen sein; denn auf dem Buch, das jetzt oben lag, hatte sich ja noch kein neuer Staub sammeln können, als Lewis es von dort wegnahm. Jemand. Ja, ein Jemand namens Baines, der das Heft zu Hause gründlich studierte – aber nicht, weil er einen Brief in Valeries Handschrift fälschen wollte. Das anzunehmen war einer seiner folgenschwersten Irrtümer gewesen. Es mußte auf die Frage, warum Baines diesen Brief an Valeries Eltern geschrieben hatte, eine ganz einfache Antwort geben, so einfach, daß er sie bisher nicht sehen konnte. Die Antwort war: Baines hatte ihn gar nicht geschrieben. Mr. und Mrs. Taylor hatten den Brief am Mittwochmorgen erhalten und waren im Zweifel gewesen, ob sie ihn zur Polizei bringen sollten – George Taylor selbst hatte ihm genau das gesagt. Und warum den Brief nicht einfach zur Polizei bringen? Offenkundig, weil sie nicht entscheiden konnten, ob er von Valerie stammte oder nicht. Es konnte ja auch ein böser Streich sein. Sicherlich hatte Mrs. Taylor dann, um Klarheit zu gewinnen, den Brief erst einmal zu Baines gebracht; und der war dann so schlau gewesen, sich ein altes Heft von Valerie aus der Schule zu besorgen, hatte selbst Schriftproben angefertigt und dabei so genau wie möglich Valeries Stil und Form nachgemacht. Dann hatte er Valeries Brief mit den Produkten seiner eigenen Anstrengung verglichen und sich Mrs. Taylor gegenüber in dem Sinne geäußert, daß der Brief, seiner Meinung nach jedenfalls, vollkommen echt sei. Ja, so mußte es sich zugetragen haben. Aber da war noch etwas anderes. Die logische Folgerung aus diesem allen war, daß Mr. und Mrs. Taylor überhaupt keine Ahnung hatten, wo Valerie war. Sie hatten mehr als zwei Jahre nichts von ihr gehört. Und wenn beide durch den Brief tatsächlich verwirrt gewesen waren, dann gab es nur einen unausweichlichen Schluß: Die Taylors waren völlig unschuldig. Weiter, Morse! Weiter! Die Puzzlestücke fielen jetzt ganz leicht an die Stellen, wo sie hingehörten. Weiter!
    Und Ainley (der arme alte Ainley) hatte es genau gewußt, daß sie lebte. Nicht nur das – er hatte sie tatsächlich gefunden. Morse war da inzwischen ganz sicher. Mindestens hatte er herausbekommen, wo sie zu finden war. Der langweilige, gründliche alte Ainley! Ein verdammt besserer Polizist, als er selbst je sein würde. (Hatte Strange nicht genau das gesagt, ganz zu Anfang, als er ihm den Fall übergab?) Valerie hatte das Ausmaß dessen, was sie mit ihrem Verschwinden anrichtete, nicht ahnen können. Es verschwanden ja Hunderte jährlich. Hunderte. Aber hatte sie sich jetzt auf einmal eines anderen besonnen, so lange danach? Hatte Ainley sie getroffen und es ihr gesagt? Das erschien ihm jetzt sehr wahrscheinlich, denn es war ja genau der Tag nach Ainley s London-Reise, daß sie sich hingesetzt und zum allererstenmal an ihre Eltern geschrieben hatte. Das war das ganze Geheimnis dieses blöden Briefchens! Und Morse, dieser Clown, hatte sich ins Zeug gelegt. O Gott! Was hatte er für ein Theater um jede banale Kleinigkeit gemacht!
    Der Zug hatte das Weichbild von London erreicht, und Morse ging auf den Gang hinaus und zündete sich eine Zigarette an. Eins war ihm jetzt noch nicht klar. Dieser Gedanke, der ihm vorhin durch den Kopf geschossen war, als er draußen vor der Bahnhofsgaststätte gestanden und zur Kempis Street hinübergeschaut hatte. Aber er würde bald Klarheit haben, über alles Klarheit haben.

Kapitel Vierzig
     
    Denn lang schon waren sie und ich vertraut
    Und alle ihre Eigenarten mir bekannt
    A. E. Housman, Letzte Gedichte
     
    Es war kurz nach halb elf, als er den Fahrer bezahlte. Das Taxi war teurer gewesen als die Rückfahrkarte erster Klasse nach London. Unten in dem Apartmenthaus fand er links den Aufzug zu den Stockwerken mit gerader Zahl, der zu den ungeraden war rechts. Die Etage hatte er nicht vergessen. Natürlich nicht. Sie strahlte. In dem dünnen schwarzen Pullover, der ihre vollen Brüste gut zur Geltung brachte (sie trug keinen BH), sah sie

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