Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
Aber er würde sich durch das Wissen, daß irgendwo ein wichtiger Hinweis verborgen war, nicht zu Spekulationen hinreißen lassen. Und überhaupt. Eines der sechs Mädchen, Christine aus Kidderminster, war, wie er heute morgen der Zeitung hatte entnehmen können, inzwischen wieder bei ihren Eltern. Vielleicht würde auch Valerie Taylor irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft plötzlich vor der Tür ihres Elternhauses stehen. Wer weiß. Die verlorenen Töchter kehrten reumütig zurück in die offenen Arme ihrer Eltern, und nicht lange, so würden sie wieder anfangen sich zu streiten – um dieselben Dinge, derentwegen sie sich auch vorher gestritten hatten. Das schien so eine Art Naturgesetz zu sein. Aber natürlich gab es auch einige, die für immer verschwunden blieben.
    Morses Vorsätze hielten nicht lange vor. Nach dem dritten Bier überkam es ihn wieder. Er hatte den Artikel gerade noch einmal durchgelesen. Ja, hier stimmte etwas nicht. Nur eine winzige Unstimmigkeit, aber vielleicht war das genau die Unstimmigkeit, die Ainley auf die Fährte gesetzt hatte. Und schon begannen sich in Morses Kopf die aberwitzigsten Ideen zu bilden. Aber Tatsachen waren schließlich nur etwas für Kleingeister.

Kapitel Sechs
     
    Freilich hat er viel Einbildungskraft und eine sehr gute Er innerung; doch mit perversem Einfallsreichtum nutzt er di e se Gaben wie kein anderer Mensch
    Richard Brinsley Sheridan, 1751 – 1816
     
    Im Gegensatz zu Morse hatte Sergeant Lewis die Routinearbeit der letzten Woche außerordentlich befriedigend gefunden. Da wußte man doch, woran man war. Und so betrat er jetzt Morses Büro nicht ohne Befürchtungen. Bei dem Chief Inspector war man vor Überraschungen nie sicher. Aber er konnte es sich ja nicht aussuchen. Lewis hatte schon früher unter Morse gearbeitet und war alles in allem recht gut mit ihm klargekommen. Aber bis zuletzt hatte er sich nicht an dessen Eigenwilligkeit gewöhnen können.
    Morse saß in seinem schwarzen Ledersessel und hatte vor sich auf dem unaufgeräumten Schreibtisch einen grünen Aktenordner liegen.
    »Schön, daß Sie da sind, Lewis. Dann kann es ja losgehen. Ich wollte nicht ohne Sie anfangen.« Liebevoll klopfte er mit der flachen Hand auf den Ordner. »Hier haben wir sämtliche Erkenntnisse zum Fall Taylor. Alles Fakten. Ainley hat sich nur mit Fakten abgegeben. Alles andere war für ihn Tagträumerei. Und wir werden in seine Fußstapfen treten und uns ebenfalls nur um Fakten kümmern. Sagten Sie etwas?« Aber bevor Lewis antworten konnte, öffnete Morse den Ordner, löste mit raschem Griff die Klammer und kippte den Inhalt mit dem ersten Blatt nach unten auf den Schreibtisch. »Sollen wir hinten oder vorne anfangen?«
    »Am besten doch wohl der Reihe nach, Sir.«
    »Also ich glaube eigentlich, daß wir einsteigen können, wo wir wollen – aber bitte, ich richte mich ganz nach Ihnen …« Mit einem kleinen Ächzen hob er den recht umfangreichen Papierstapel und wuchtete ihn wieder in seine ursprüngliche Lage zurück.
    »Was haben wir denn damit überhaupt vor?« fragte Lewis verständnislos.
    Morse berichtete ihm von seiner Unterredung mit Strange und reichte Lewis dann Valerie Taylors Brief an ihre Eltern. »Deshalb werden wir uns jetzt des Falles wieder annehmen. Na, freuen Sie sich? Das ist doch mal was anderes als die sture Routine.« Der Sergeant rang sich ein schwaches Lächeln ab und nickte.
    »Haben Sie an den Mirror gedacht, Lewis?« Lewis war ein Muster an Zuverlässigkeit. Er holte die Zeitung aus seiner Manteltasche und gab sie Morse. Der zog seine Brieftasche hervor, entnahm ihr einen Totoschein, schlug im Mi r ror die Seite mit den Ergebnissen auf und begann mit vor Anspannung gerunzelter Stirn seine Kreuzchen mit den Ziffern im Mirror zu vergleichen. Lewis beobachtete ihn, wie sich sein Gesicht durch ein überraschtes Lächeln aufhellte, dann wieder enttäuscht verdüsterte, bis er schließlich fertig war und den Schein grimmig in kleine Schnitzel zerriß, die er mit einer verächtlichen Geste in Richtung Papierkorb warf.
    »Ist nichts mit den Bahamas, Lewis. Und bei Ihnen?«
    »Bei mir auch nichts.«
    »Haben Sie überhaupt schon mal etwas gewonnen?«
    »Ja, im letzten Jahr. Ein paar Pfund. Aber die Chance, daß man wirklich mal den richtigen Riecher hat, steht ja auch 1 : 1000000.«
    »Genau wie hier«, murmelte Morse und deutete auf den Papierberg, den ihnen Ainley hinterlassen hatte.
    Während der nächsten zweieinhalb Stunden arbeiteten sie das

Weitere Kostenlose Bücher