. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
daß, wenn Valerie tatsächlich ihrem Elternhaus aus freien Stücken den Rücken gekehrt haben sollte, der Grund dafür nicht in familiären Streitigkeiten zu suchen sei. Morse fiel ein lateinisches Sprichwort ein: Ex nihilo nihil fit. Nichts geschieht ohne Grund. Wohl wahr, aber im Augenblick auch nicht sehr hilfreich.
Bei den Akten befanden sich auch zwei Karten sowie eine Skizze: ein Meßtischblatt im Maßstab 1:25 000 von Oxford und seiner unmittelbaren Umgebung, auf dem Ainley die von den Suchtrupps durchkämmten Gebiete markiert hatte; dann eine Karte der Grafschaft mit winzigen kryptischen Symbolen neben allen größeren Straßen sowie den Eisenbahnlinien, die er offenbar benutzt hatte, um sich einen Überblick über die wichtigsten Verkehrswege zu verschaffen; schließlich die Skizze, die einige dem Hatfield Way benachbarte Straßen zeigte und, rot eingezeichnet, Valeries Schulweg. Während Lewis sich mit gesenktem Kopf durch die Papiere wühlte, schien Morse angesichts der Skizze plötzlich von einer Idee beflügelt. Die rechte Hand an der Stirn, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und bot ein Bild gedankenschwerer Konzentration.
»Haben Sie etwas entdeckt, Sir?« fragte Lewis ehrfürchtig.
»Wie? Was? Oh.« Morse fuhr ein wenig zusammen und setzte sich aufrecht hin. Lewis hatte wirklich ein seltenes Talent, ihn immer gerade dann zu stören, wenn er die wichtigsten Einfälle hatte.
»Hat die Skizze Sie auf etwas gebracht, Sir?«
»Die Skizze? Ja, doch, sehr interessant.« Er sah sie flüchtig an, wußte jedoch, daß ihn die Inspiration verlassen hatte, und griff nach dem Sunday Mirror . Mal sehen, was in seinem Horoskop stand. Neugierig las er:
Sie machen größere Fortschritte, als Ihnen vielleicht b e wußt ist. Die von Ihnen Angebetete wird Sie vielleicht schon in allernächster Zeit erhören. Suchen Sie bis dahin die Gesel l schaft eines gescheiten und witzigen Menschen – Sie bra u chen Aufheiterung.
Morse blickte trübselig zu seinem Sergeant hinüber. Der konnte damit schwerlich gemeint sein.
Er gab sich einen Ruck. »Nun, Lewis, was denken Sie?«
»Ich bin noch nicht ganz fertig mit Lesen.«
»Aber Sie haben doch sicher schon einen Eindruck.«
»Ich weiß nicht recht.«
»Ach, kommen Sie schon. Zieren Sie sich nicht so. Was, glauben Sie, ist mit ihr passiert?«
Lewis dachte noch einmal nach, biß sich auf die Lippen und wiegte den Kopf, dann platzte er heraus: »Ich glaube, daß sie nach London getrampt ist. Da wollen sie doch alle hin.«
»Sie sind also der Meinung, daß sie noch am Leben ist?«
Lewis sah den Chief Inspector überrascht an. »Ja, Sie denn nicht?«
»Gehen wir erst mal ein Bier trinken«, sagte Morse.
Sie verließen das Präsidium und überquerten am Zebrastreifen die vielbefahrene Verbindungsstraße zwischen Oxford und Banbury.
»Wohin gehen wir denn jetzt eigentlich?«
Morse zog Ainleys Skizze aus der Tasche. »Ich dachte, wir sehen uns mal so ein bißchen die Umgebung von Hatfield Way an. Kann nicht schaden.«
Die Siedlung lag etwas abseits von der Straße auf der linken Seite, wenn man in Richtung Banbury ging. Hatfield Way war nicht weit entfernt. Vor dem Haus der Taylors blieben sie stehen.
»Wollen Sie sie jetzt gleich aufsuchen?« fragte Lewis.
»Warum nicht? Irgendwann müssen wir ja schließlich mal anfangen.«
Das Haus war solide gebaut. Den gepflegten Rasen des Vorgartens zierte ein kreisrundes Rosenbeet. Morse klingelte. Als sich drinnen nichts rührte, klingelte er ein zweites Mal. Mrs. Taylor war anscheinend nicht zu Hause. Morse reckte den Hals und spähte durch die Fensterscheibe des vorderen Zimmers, konnte aber zu seiner Enttäuschung nicht viel mehr erkennen als ein breites rotes Sofa und darüber an der Wand mehrere sich in einer Diagonale nach oben schwingende Enten, unterwegs zur Decke.
»Wenn ich mich recht erinnere, Lewis, ist gleich um die Ecke hier ein Pub.«
Sie bestellten sich jeder ein Käsesandwich und ein Bier, und Morse reichte Lewis die Farbbeilage der Sunday Times vom 24. August.
»Werfen Sie da mal einen raschen Blick drauf.«
Zehn Minuten später – Morse hatte sein Glas schon geleert, während der Sergeant seines noch nicht einmal angerührt hatte – war klar, daß selbst ein rascher Blick bei Lewis seine Zeit brauchte, und Morse holte sich ein zweites Bier, weil das Warten ihn kribbelig machte.
Nach weiteren zehn Minuten hob Lewis den Kopf und sagte langsam: »Hier ist ein Fehler drin.«
Morse sah ihn
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