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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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sagt uns denn, daß wir da nicht Valerie Taylor vor uns hatten. Und falls sie es tatsächlich war? Wissen Sie, Lewis, dieser Fall nervt mich. Ich habe das Gefühl, wir tun nichts, als alte Geschichten, die besser begraben bleiben sollten, wieder aufzurühren, und am Ende werden wir noch dazu beigetragen haben, daß Phillipson seinen Posten verliert. Nein, Lewis, ich hätte nicht übel Lust, das Ganze hinzuschmeißen.«
    »Das sähe Ihnen aber nicht ähnlich.«
    Morse starrte mürrisch vor sich auf die Schreibunterlage. »Für Fälle wie diesen bin ich nicht der richtige Mann, Lewis. Ich weiß, es klingt ein bißchen makaber, aber ich komme besser klar, wenn ich eine Leiche habe, wenn wir wegen eines Toten ermitteln, der auf irgendeine Weise gewaltsam umgekommen ist.«
    »Und Sie meinen, wegen eines lebenden Menschen zu ermitteln lohnt sich nicht?« fragte Lewis ruhig.
    Morse hob resigniert die Hand. »Ich verstehe schon, was Sie sagen wollen, Lewis.« Er stand auf, holte sich seinen Mantel und ging zur Tür. Der Sergeant saß noch immer an seinem Platz. »Was ist, Lewis, kommen Sie nicht?«
    »Ich denke die ganze Zeit darüber nach, wo sie sich jetzt wohl aufhält. Irgendwo muß sie ja stecken; und wenn wir wüßten, wo, dann könnten wir hingehen, und der Fall wäre geklärt. Und daß wir es nicht wissen, das macht den ganzen Unterschied. Schon komisch. Aber ich möchte weitersuchen und sie finden und die Sache zu einem richtigen Ende bringen. So einfach mittendrin aufzuhören, das liegt mir nicht.«
    Morse kam zurück und setzte sich wieder hin. »Hm. So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen … Ich war mir so absolut sicher, daß sie tot war, daß ich mir überhaupt nicht richtig vorgestellt habe, sie könnte auch am Leben sein. Aber wenn sie lebt, dann läßt sie sich auch finden.« In seine Augen trat ein Ausdruck von neu erwachendem Interesse. Lewis atmete auf.
    »Ist doch durchaus eine Herausforderung, Sir.«
    »Na ja. Aber vielleicht ist es zur Abwechslung wirklich ganz spannend, mal so einen frühreifen kleinen Vamp zu jagen.«
    »Sie denken also, wir sollten es versuchen?«
    »Ich beginne mich mit dem Gedanken anzufreunden.«
    »Und wo, glauben Sie, daß sie sein könnte?«
    »Na wo wohl? Dumme Frage. Sie hockt in irgendeiner Luxuswohnung und zupft sich die Augenbrauen.«
    »Aber wo ?« wiederholte Lewis drängend.
    »Ach so – na in London natürlich. Wie lautete der Poststempel?
    EC 4, oder? Da irgendwo in der Gegend wird sie untergeschlüpft sein. So sicher wie das Amen in der Kirche.«
    »Der zweite Brief trug aber einen anderen Stempel.«
    »Der zweite Brief? Ach ja. Und wo war der abgestempelt?«
    Lewis runzelte irritiert die Stirn. »In W 1. Das können Sie doch nicht schon vergessen haben.«
    »W 1 war das also? Wenn Sie es sagen, wird’s wohl stimmen. Aber ich würde mir an Ihrer Stelle über den zweiten Brief nicht allzu sehr den Kopfzerbrechen.«
    »Wieso denn nicht, Sir?«
    »Wenn ich Sie wäre, würde ich den zweiten Brief einfach ignorieren. Der führt Sie nur in die Irre. Ich muß Ihnen nämlich ein Geständnis machen, Lewis: Der Brief stammt von mir.«
     
     

Kapitel Siebzehn
     
    Und all das Leid, das ihn so bewegt,
    Daß bitter der Schrei aus ihm bricht,
    Und den blutigen Schweiß und die Reue so heiß –
    Wer kannte das besser als ich:
    Der Mann, der mehr Leben durchlebt als eins,
    Schaut mehrmals dem Tod ins Gesicht
    Oscar Wilde, Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading
     
    Hundertzwanzig – das waren viel zu viele. Wenn jeder von ihnen auch nur eine Minute spräche, dann wären das schon zwei volle Stunden. Na egal, Acum wollte sowieso nicht das Wort ergreifen. Die meisten Kongreßteilnehmer waren dienstältere Kolleginnen und Kollegen in den Vierzigern und Fünfzigern, die – wenn man ihren Diskussionsbeiträgen glauben durfte – jedes Jahr eine beträchtliche Anzahl junger Fremdsprachengenies an die Universitäten von Oxford und Cambridge entließen.
    Nach der Fünfeinhalb-Stunden-Autofahrt hatte er sich am Sonntag doch recht zerschlagen gefühlt, und das Tagungsprogramm, das am heutigen Montag morgen in hochkultivierter und intellektuell anspruchsvoller Atmosphäre anzulaufen begann, war kaum dazu angetan gewesen, Begeisterung zu erwecken. Der Lehrstuhlinhaber für Französisch am gastgebenden Lonsdale College hielt das Eröffnungsreferat über Textlektüre in der Oberstufe und zitierte dabei mit angenehmer Stimme und schönem Pathos die eleganten Verse Racines. Acum begann

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