. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
einmal! Komm, meine kleine Zahl, komm! Hier bin ich – wenn nur du, nur du, nur du …! Und da sitzen all die Frauen und hoffen und beten und klagen, wie wenig ihnen eben gefehlt hat, und verfluchen ihr Unglück und sagen und denken wenn nur …
Heute abend nahm Mrs. Taylor draußen vor dem Ritz den 2er Bus und war um fünf nach halb zehn in Kidlington; sie beschloß, noch kurz in den Pub hereinzusehen.
Acum meldete sich um kurz nach halb zehn. Früher als erwartet. Er habe Glück gehabt mit dem Verkehr, es sei wenig los gewesen. Bei Towcester sei er auf die A 5 gefahren, und von da an sei es glatt durchgegangen. Er war um Viertel nach drei in Oxford aufgebrochen, kurz vor dem offiziellen Ende der Tagung. Ja, doch, es sei sehr anregend gewesen. Am Montagabend, Moment, er müsse erst einmal nachdenken – also, da sei zuerst das gemeinsame Abendessen gewesen und anschließend habe man in lockerer Runde zusammengesessen und Fragen an die Referenten stellen können. Dabei seien einige interessante Dinge zur Sprache gekommen. Gegen halb elf sei er im Bett gewesen; so ein volles Programm den ganzen Tag, das mache schon müde. Nein, soweit er sich erinnere – und eigentlich erinnere er sich ziemlich gut an den Abend –, sei er nicht aus gewesen. Baines tot? Was? Ob Morse das bitte wiederholen könne. O mein Gott, das sei ja furchtbar. Natürlich habe er ihn gekannt – sehr gut sogar. Wann es denn passiert sei? Am Montag? Montag abend? Also deswegen die Fragen?! Allmählich fange er an zu begreifen. Nun, er habe alles gesagt, was er wisse; es tue ihm leid, daß er nicht mehr helfen könne.
Morse legte den Hörer auf. Er kam immer mehr zu der Überzeugung, daß eine Befragung per Telefon etwa so sinnvoll war wie zu versuchen, in Taucherausrüstung zu einem Hundertmeterlauf zu starten. Es würde ihm wohl nichts anderes übrigbleiben als selbst nach Caernarvon zu fahren, wenn er zu dem Schluß kam … Zu welchem Schluß? War es wirklich wahrscheinlich, daß Acum bei Baines’ Tod seine Finger im Spiel gehabt hatte? Wenn ja, dann hatte er jedenfalls alles getan, um möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Also eher ein Punkt zu seinen Gunsten. Andererseits – sein Name war die ganzen Ermittlungen hindurch immer wieder aufgetaucht, nicht spektakulär, aber dafür mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit. Und seine Telefonnummer gehörte zu den wenigen, die der ermordete Baines aufzuschreiben für notwendig erachtet hatte. Hm. Das alles war schon irgendwie merkwürdig. Aber war es vorstellbar, daß jemand zu einem Kongreß nach Oxford kam und sich dann plötzlich entschloß, einen ehemaligen Kollegen umzubringen? Oder war es gar nicht so plötzlich gewesen, sondern im Gegenteil sogar besonders raffiniert geplant, weil in der Planung von Anfang an mit einbezogen worden war, daß es niemandem einfallen würde, ihn überhaupt erst zu verdächtigen? Schließlich war es mehr oder weniger Zufall gewesen, daß er die Idee gehabt hatte nachzufragen, an welchem Ort denn nun Mr. Acums Kongreß eigentlich stattgefunden habe. Hatte Acum daraufgebaut, daß ihn keiner in Oxford vermuten würde? Morse seufzte. Die Reise nach Caernarvon blieb ihm wohl nicht erspart. Brrr! Es war auf einmal kalt im Büro, und Morse fühlte sich müde. Schluß für heute! Er sah auf die Uhr. Gleich zehn. Wenn er sich beeilte, konnte er noch ein paar Bier trinken.
Der Pub war – wie zu erwarten – sehr voll, und Morse mußte sich mühsam einen Weg durch die Menge bahnen. Blaue Schwaden von Zigarettenrauch in Augenhöhe versperrten die Sicht wie morgendliche Herbstnebel. Es herrschte lautes Stimmengewirr; jeder schien möglichst viel möglichst laut reden zu müssen; so etwas wie Gesprächspausen gab es nicht. An einigen der Tische wurde ein Kartenspiel, Cribbage mit Namen, gespielt, an anderen Domino. Die Dartswerfer bildeten eine lange Schlange. Alle nur irgendwie erreichbaren waagerechten Flächen waren vollgestellt. Gläser mit und ohne Henkel, fast volle Gläser, halbvolle Gläser, leere Gläser – letztere hatten den Vorzug, daß man sie aufs neue mit der unübertrefflichen bernsteinfarbigen Flüssigkeit füllen konnte, die da Bier hieß. Morse entdeckte eine Lücke an der Bar und quetschte sich, Entschuldigungen murmelnd, nach vorne durch. Während er darauf wartete, bedient zu werden, hörte er rechts von sich das Rattern eines Spielautomaten und von Zeit zu Zeit das helle metallische Klappern, wenn er Münzen ausspie. Er beugte
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