Wurzeln
wie die Leute in Juffure.
An Afrika erinnerte Kunta auch die Art, wie die schwarzen Frauen hier ihr Haar trugen, nämlich zu sehr straffen Zöpfen geflochten. Die afrikanischen Frauen verzierten ihre Zöpfe allerdings oft mit bunten Perlen. Auch Kopftücher wurden hier getragen, wenngleich nicht ganz richtig geknotet. Bei einigen Männern sah Kunta kurze Zöpfe, wie man sie auch in Afrika zu sehen bekam.
Daß die schwarzen Kinder dazu erzogen wurden, den Älteren mit Höflichkeit und Achtung zu begegnen, erinnerte ihn ebenso an Afrika wie die Art der Mütter, ihre Babys zu tragen. Auch Kleinigkeiten fielen ihm auf, zum Beispiel, daß die Älteren, wenn man abends beieinandersaß, Zahnfleisch und Zähne mit dünnen Zweigen rieben – in Juffure hätten sie die Zitronengraswurzel dazu verwendet. Und er mußte zugeben, daß ihre Vorliebe für Gesang und Tanz unverkennbar afrikanisch war, wenn ihm auch unbegreiflich blieb, wie sie es fertigbrachten, im toubob- Land zu singen und zu tanzen.
Er fühlte sich jetzt übrigens nicht mehr ganz so fremd unter ihnen, denn seit einigen Wochen bezeigten sie Abscheu vor ihm nur noch, wenn der Aufseher oder der Masser in der Nähe war. Waren sie unbeobachtet, nickten die meisten ihm freundlich zu oder schauten besorgt auf sein linkes Fußgelenk, das sich entzündet hatte. Er blieb weiterhin abweisend, bereute das aber manchmal fast.
Als er eines Nachts wie so häufig schlaflos ins Dunkel starrte, fühlte er plötzlich, es müsse Allahs Wille sein, daß er hier an diesem Ort unter den verirrten Schafen der großen schwarzen Familie weilte, die auf gemeinsame Vorväter zurückgeht, auch wenn sie, anders als Kunta, nicht die geringste Kenntnis davon zu haben schienen.
Die Ahnung von der Gegenwart seines Großvaters, des heiligmäßigen Mannes, veranlaßte Kunta, sich in das Dunkel hinein vorzutasten. Zwar spürte er nichts, doch begann er laut den alquaran Kairaba Kunta Kinte anzurufen; er bat ihn, ihm den Zweck seines Auftrages hier zu offenbaren, falls es einen solchen gäbe. Die eigene Stimme erschreckte ihn, denn bis zu diesem Augenblick hatte er im Land der toubobs kein Wort gesprochen, das nicht an Allah gerichtet war, von den Schreien abgesehen, die ihm die Peitschenhiebe abgerungen hatten.
Als er sich am nächsten Morgen den anderen beim Gang zur Arbeit anschloß, hätte er sie beinahe mit dem Wort »Morgen« begrüßt, wie sie es untereinander zu tun pflegten. Er hatte inzwischen genügend toubob- Wörter gelernt und verstand viel von dem, was um ihn her gesprochen wurde. Er hätte sich auch verständlich machen können, doch hielt ihn etwas davon ab, sein Wissen preiszugeben.
Kunta vermutete jetzt, daß die Schwarzen ihre wahren Gefühle gegenüber den toubobs genauso sorgfältig verbargen wie er seine sich wandelnde Einstellung zu ihnen. Ihm war nicht entgangen, daß das Grinsen der Schwarzen oft genug einem Ausdruck der Erbitterung wich, sobald der toubob sich abwandte. Sie zerbrachen absichtlich Arbeitsgeräte und stellten sich dumm, wenn der Aufseher sie wegen ihrer Ungeschicklichkeit anbrüllte. Auf dem Feld schufteten sie, solange ein toubob in der Nähe war, benötigten im übrigen aber für jede Arbeit doppelt soviel Zeit, als erforderlich gewesen wäre.
Er kam nun auch dahinter, daß sie, ähnlich wie die Mandinkas ihre geheime sira-kango- Sprache, Verständigungsmittel hatten, die nur ihnen bekannt waren. Bei der Arbeit auf dem Feld sah Kunta sie gelegentlich rasche knappe Gesten oder Kopfbewegungen machen. Oder er vernahm unverständliche kurze Zurufe, die hier und dort wiederholt wurden, immer außerhalb der Hörweite des umherreitenden Aufsehers. Manchmal wurde ganz unvermittelt etwas gesungen, und obwohl Kunta es nicht verstehen konnte, wußte er doch, daß eine Nachricht weitergegeben wurde, so wie die Frauen auf dem großen Kahn den Männern Nachrichten übermittelt hatten.
Wenn es dunkel geworden war zwischen den Hütten und kein Lampenschein mehr aus den Fenstern des großen Hauses fiel, hörte Kunta wohl das Huschen, mit dem der eine oder andere Schwarze sich aus dem »Sklavenquartier« davonstahl und Stunden später zurückkam. Wohin gingen sie wohl, und was machten sie – und warum waren sie so verrückt wiederzukommen? Am nächsten Morgen auf dem Feld versuchte er dann herauszubekommen, wer es wohl gewesen war, denn ihm war so, als könnte er den Schwarzen trauen, die so etwas taten.
Zwei Hütten von Kunta entfernt saßen die Schwarzen abends
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