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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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nach dem Essen um das kleine Feuer der Köchin, und dieser Anblick rief in Kunta melancholische Erinnerungen an Juffure wach, nur daß die Frauen hier bei den Männern saßen und einige Schwarze beiderlei Geschlechts heidnische Tabakspfeifen rauchten, die bei zunehmender Dunkelheit hin und wieder aufglühten. Kunta saß dann aufmerksam lauschend nahe dem Eingang zu seiner Hütte und hörte nicht nur das Zirpen der Grillen und das ferne Rufen der Eulen im Wald, sondern auch die Unterhaltung nebenan. Er verstand zwar nicht die Wörter, doch die Bitterkeit, mit der da gesprochen wurde, war unverkennbar.
    Kunta konnte sich im Dunkeln das Gesicht jedes Schwarzen vorstellen, der gerade redete. Sein Gedächtnis hatte sich die Stimme aller zwölf Erwachsenen eingeprägt, dazu die Namen der Stämme, zu denen sie gehören mußten. Er wußte mittlerweile, wer den Unbekümmerten spielte und wer kaum jemals lächelte, auch nicht in Gegenwart der toubobs.
    Die abendlichen Zusammenkünfte liefen nach bestimmten Regeln ab. Als erste sprach meist die Frau, die im großen Haus kochte. Sie gab recht ausdrucksvoll wieder, was der »Masser« und die »Missis« gesagt hatten. Dann hörte Kunta, wie der große Schwarze, der ihn eingefangen hatte, den Aufseher nachahmte, wobei die anderen offenbar mit Mühe das Lachen unterdrückten, damit man sie drüben im großen weißen Haus nicht hörte.
    Danach wurde die Unterhaltung allgemein. Manches, was gesagt wurde, klang hilflos und verzweifelt, anderes wütend. Wörter verstand Kunta nur selten. Ihm kam es so vor, als erinnerten sie sich an Dinge, die ihnen früher einmal widerfahren waren. Die Frauen redeten viel und brachen bisweilen in Tränen aus. Nach und nach verstummte die Unterhaltung, eine Frau begann zu singen, und die anderen fielen ein. »Nobody knows de troubles I’ve seed« – das klang wehmütig, kummervoll, kein Zweifel.
    Zum Schluß ließ sich dann der Älteste vernehmen, der Greis, der meist im Schaukelstuhl saß, Flechtarbeiten machte und das Horn blies. Alle senkten die Köpfe und murmelten etwas, das wohl eine Art Gebet war, wenn auch bestimmt keines zu Allah.
    Allerdings hatte der alte alcala im Laderaum des großen Kahns gesagt: »Allah kennt alle Sprachen.« Das Gebet wurde mehrfach von einem sonderbaren Ausruf unterbrochen, den manchmal der Älteste, dann wieder ein anderer tat: »O Herr!« lautete dieser Ausruf. Oder war es ein Anruf, gerichtet an den Allah dieser Schwarzen?
    In der folgenden Nacht wehte ein Wind, so kalt, wie Kunta es nie erlebt hatte, und als er erwachte, waren die letzten Blätter von den Bäumen gerissen. Statt sie zur Arbeit aufs Feld zu treiben, schickte der Aufseher zu Kuntas Überraschung alle in die Scheune. Hier waren schon der Masser und die Missis samt vier anderen feingekleideten toubobs , die nun die Schwarzen anfeuerten, die, in zwei Gruppen eingeteilt, um die Wette aufgehäufte Maiskolben von den unterdes getrockneten Blättern befreiten.
    Anschließend aß und trank man sich satt, die toubobs und die Schwarzen strikt getrennt. Der schwarze Greis, der abends immer betete, nahm nun ein Musikinstrument zur Hand – es erinnerte Kunta mit seinen längsgespannten Saiten an die alte kora – und begann darauf eine recht seltsame Musik zu machen, indem er mit einer Art Stock über die Saiten hin und her fuhr. Die anderen Schwarzen erhoben sich und begannen ganz wild zu tanzen, während die toubobs , sogar der Aufseher, zuschauten und begeistert klatschten. Mit vor Erregung geröteten Gesichtern standen alle toubobs plötzlich auf, und indes die Schwarzen zur Seite wichen, schritten sie unter weiterem Klatschen auf die Mitte der freien Fläche hinaus und hopsten recht plump umher. Der Alte spielte dazu, als wäre er verrückt geworden, und die anderen Schwarzen hüpften und klatschten und kreischten, als hätten sie nie etwas Schöneres zu sehen bekommen.
    Das erinnerte Kunta an eine Geschichte, die ihm Nyo Boto erzählt hatte, als er im ersten kafo gewesen war. Vor Zeiten hatte ein König seinen Musikanten befohlen, so schön zu spielen, wie sie nur konnten, weil er vor allem Volke tanzen wollte, auch vor den Sklaven. Seine Untertanen konnten sich vor Entzücken gar nicht lassen, und es hatte nie mehr einen solchen König wie ihn gegeben.
    Als Kunta später in seiner Hütte über alles nachdachte, was er gesehen hatte, wollte ihm scheinen, daß die Schwarzen und die toubobs auf sonderbare Weise aneinander hingen. Nicht nur während des

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