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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Tanzens, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten hatte er den Eindruck gehabt, daß die toubobs in der Nähe der Schwarzen am glücklichsten waren, selbst wenn sie sie schlugen.

Kapitel 47
    Kuntas linkes Fußgelenk hatte sich inzwischen so sehr entzündet, daß der aus der Wunde sickernde Eiter die eiserne Schelle mit gelblichem Schleim verkrustete. Sein Hinken veranlaßte den Aufseher, sich die Sache näher anzusehen und die Schelle durch Samson entfernen zu lassen.
    Das Gefühl, frei zu sein, erregte Kunta so sehr, daß er die Schmerzen kaum noch wahrnahm. Am Abend, als die anderen schon schliefen und alles still war, humpelte er hinaus und stahl sich abermals davon, diesmal in der entgegengesetzten Richtung. Eben hatte er einen Hohlweg gequert und kroch auf dem Bauch die andere Seite hinauf, als er in der Ferne Geräusche hörte. Er lag ganz still, nur sein Herz klopfte heftig. Stapfende Schritte näherten sich, und die rauhe Stimme von Samson rief: »Toby! Toby!« Kunta fühlte sich sonderbar gefaßt, als er kalten Blickes den Umriß von Samson beobachtete, der sich gegen den Nachthimmel abzeichnete. Dieser Samson fürchtete offenbar für sich selbst das Schlimmste, sollte es Kunta gelingen zu entfliehen. Jetzt war er schon ganze nahe. Kunta kauerte sprungbereit, in der Faust den dicken Stock, den er wie einen Speer schleudern wollte. Als er ausholte, stöhnte er leise vor Schmerz, und Samson, der diesen Laut hörte, sprang beiseite. Der Stock verfehlte ihn um Haaresbreite.
    Kunta wollte nun weglaufen, doch seine Fußgelenke waren so schwach, daß er kaum stehen konnte, von laufen nicht zu reden. Samson schlug auf ihn ein, bis Kunta zu Boden ging. Die Schläge trafen ihn allerdings nur am Körper, das war offenbar Absicht. Als Kunta sich nicht mehr wehren konnte, band ihm Samson keuchend die Hände mit einem Strick zusammen und schleifte ihn zur Pflanzung zurück, wobei er ihn unablässig beschimpfte.
    Kunta taumelte kraftlos hinter Samson her. Betäubt von Schmerz und Erschöpfung – auch von Abscheu vor sich selbst –, malte er sich aus, wie man ihn schlagen würde, doch als sie schließlich kurz vor Morgengrauen anlangten, versetzte Samson ihm nur noch einige Tritte und ließ ihn dann liegen.
    Kunta zitterte vor Schwäche. Dennoch begann er den Strick zu benagen, der seine Hände band, bis ihm die Zähne unerträglich schmerzten. Das Seil löste sich im gleichen Augenblick, als das Horn blies. Kunta weinte. Er hatte es wieder nicht geschafft. Nun betete er zu Allah.
    Während der folgenden Tage schien es, er und Samson hätten einen geheimen Pakt des Hasses geschlossen. Kunta wußte, daß er scharf bewacht wurde, daß Samson die erste Gelegenheit benutzen würde, ihm mit Billigung der toubobs eins auszuwischen. Es hieß also, sich zu stellen, als wenn nichts geschehen wäre, und noch schneller und gründlicher zu arbeiten als zuvor. Der Aufseher achtete am wenigsten auf die, die am meisten arbeiteten oder am freundlichsten grinsten. Zum Grinsen konnte Kunta sich nicht zwingen, doch mit grimmiger Befriedigung stellte er fest, daß ihn um so seltener die Peitsche traf, je mehr er schwitzte.
    Eines Abends entdeckte Kunta, halb versteckt zwischen zersägten Klötzen, auf dem Holzplatz einen Eisenkeil. Er blickte sich verstohlen um – niemand beobachtete ihn –, packte den Keil, verbarg ihn unter dem Hemd und eilte zu seiner Hütte. Dort grub er mit dem Keil ein Loch, legte ihn hinein und stampfte die Erde darüber fest.
    Der Gedanke, das Fehlen des Keils könnte eine Durchsuchung aller Hütten zur Folge haben, raubte ihm den Schlaf. Es geschah jedoch nichts dergleichen. Wie ihm der Keil zur Flucht verhelfen könnte, war ihm allerdings vorerst noch ganz unklar.
    Wirklich gebraucht hätte er eines jener langen Messer, die der Aufseher allmorgendlich an einige wenige Männer ausgab. Allerdings verlangte er sie jeden Abend zurück und zählte sie sogar. Mit einem solchen Messer konnte man sich schon den Weg durchs Unterholz bahnen, einen Hund töten – oder einen Menschen.
    Eines kalten Nachmittags, fast einen Monat später – der Himmel war trüb und grau, half Kunta einem anderen Mann bei der Ausbesserung des Zauns. Plötzlich fiel zu seiner Verblüffung eine Art Salz vom Himmel, anfangs wie zögernd, dann immer schneller und heftiger. Als sich das Salz zu flockiger Weiße verdichtete, hörte er die Schwarzen in der Nähe »Schnee« rufen, und er vermutete, daß dies das Wort dafür war. Als er sich

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