Wurzeln
unterdessen Augen, Ohren und Nase entgehen, keine Waffe, die er gebrauchen, keine Schwäche der toubobs , die er ausnützen konnte. Irgendwann würden seine Wärter sich so sicher glauben, daß sie ihm die Fußkette abnahmen. Dann wollte er fliehen.
Ertönte morgens das Horn, humpelte Kunta hinaus, wo die fremden Schwarzen noch ganz verschlafen ihre Hütten verließen und sich mit Wasser bespritzten, das in Eimern aus dem nahen Brunnen heraufgezogen wurde. Das Geräusch der Stößel, mit denen die Frauen von Juffure zum Frühstück kouskous stampften, fehlte ihm, und er schlang gleichmütig hinunter, was die alte Köchin ihm gab, ausgenommen Fleisch vom unreinen Schwein.
Dabei suchte er allmorgendlich nach Gegenständen, die er als Waffe benutzen und unbemerkt an sich nehmen konnte. Doch abgesehen von rußigen Geräten über dem Herd, gab es nur runde flache Blechnäpfe, aus denen er mit den Fingern aß, was sie ihm vorsetzte. Sie selber benutzte zum Essen einen Gegenstand aus Metall mit drei oder vier Zinken, mit denen man die Nahrung aufspießen konnte. Das Ding war zwar klein, mochte aber gleichwohl für ihn von Nutzen sein, vorausgesetzt, er könnte es an sich bringen.
Eines Morgens beobachtete er die Köchin dabei, wie sie Fleisch mit einem Messer zerschnitt, das er noch nicht gesehen hatte. Gerade überlegte er, was sich mit solch einem Messer anfangen ließe, da hörte er von draußen einen Todesschrei. Der paßte so gut zu seinen Gedanken, daß er aufsprang. Draußen hatten die anderen sich schon zur Arbeit aufgestellt, manche kauten noch an den letzten Bissen »Frühstück«, wollten sich aber nicht verspäten und Peitschenhiebe riskieren. Nahebei zappelte ein Schwein am Boden. Blut quoll aus dem durchgeschnittenen Hals. Zwei Schwarze tauchten es in einen Kessel mit siedendem Wasser, dann schabten sie ihm die Borsten ab. Die Haut des Schweins hat die gleiche Farbe wie die der toubobs , dachte Kunta, als das Tier an den Hinterfüßen aufgehängt, ihm der Bauch aufgeschlitzt und das Gedärm herausgezogen wurde. Dabei verbreitete sich wilder Gestank, und Kunta schauderte es bei dem Gedanken, unter Heiden leben zu müssen, die das Fleisch eines so unreinen Tieres aßen.
Die Maisstengel waren jetzt morgens bereift, und Dunst hing über den Feldern, bis die aufsteigende Sonne beides aufsog. Allahs Macht erstaunte Kunta immer wieder – selbst an einem so fernen Ort wie diesem toubob- Land jenseits des großen Wassers gingen Seine Sonne und Sein Mond unfehlbar auf und unter, wenn auch die Sonne weniger heiß brannte und der Mond nicht so lieblich schien wie in Juffure. Nur die Menschen an diesem verfluchten Ort schienen nicht von Allahs Hand geformt. Die toubobs waren nicht menschlich, und die Schwarzen begreifen zu wollen war einfach sinnlos.
Stand die Sonne auf dem höchsten Punkt, blies wieder das Horn. Alle stellten sich vor einem hölzernen Schlitten an, der von einem Tier gezogen wurde, das zwar einem Pferd ähnelte, mehr aber noch einem großen Esel. Kunta hatte es »Maultier« nennen hören. Die alte Köchin reichte nun jedem Brot und einen Napf Zusammengekochtes. Die Feldarbeiter schlangen alles hinunter und tranken dazu Wasser aus dem Faß auf dem Schlitten. Kunta schnüffelte stets argwöhnisch nach unreinem Schwein, roch meist aber nur Gemüse und keinerlei Fleisch. Das Brot aß er gern, denn er hatte gesehen, daß schwarze Frauen Mais in Mörsern mit einem eisernen Stößel zu Mehl stampften wie in Juffure, nur daß Bintas Stößel aus Holz gewesen war.
An manchen Tagen gab es Dinge zu essen, die Kunta von daheim kannte, zum Beispiel Erdnüsse und kanjo – das hier »Okra« hieß – oder so-so , hier »Faselbohnen« genannt. Die hiesigen Schwarzen waren ganz versessen auf eine große Frucht, die sie »Wassermelone« nannten. Dafür schien Allah diesen Menschen Mangofrüchte, Palmherzen, Brotfrüchte und noch viele andere Leckerbissen vorenthalten zu haben, die in Afrika überall an Ranken, Bäumen und Büschen wuchsen.
Ab und zu kam der toubob , der Kunta hierhergebracht hatte und den sie »Masser« nannten, während der Arbeitszeit aufs Feld. Er trug einen fast weißen Strohhut, und wenn er mit dem anderen toubob , dem »Aufseher«, sprach, gestikulierte er dabei mit einer langen Reitgerte. Kunta fiel auf, daß der Aufseher fast ebenso unterwürfig tat wie die Schwarzen, wenn der Masser in der Nähe war.
Jeden Tag geschahen viele merkwürdige Dinge, über die Kunta vor dem Einschlafen
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