Wurzeln
bückte, um etwas davon aufzuheben, fühlte es sich kalt an, und noch kälter, als er es vom Finger leckte. Es biß, und es schmeckte nach nichts. Es schien auch keinen Geruch zu haben und löste sich zu einem wäßrigen Nichts auf.
Gleich darauf hörte es auf zu schneien, und der Schnee schmolz weg. Kunta verbarg sein Staunen, er nickte seinem schwarzen Gefährten nur stumm zu, und sie machten sich an die Arbeit. Kunta half dem anderen eine Art Metallfaden spannen, den jener »Draht« nannte. Nach einer Weile kamen sie an eine Stelle, wo das Gras sehr hoch stand, und während der andere Mann mit dem langen Messer, das er bei sich hatte, einen Teil davon umhieb, schätzte Kunta die Entfernung zum Wald. Er wußte, Samson war nicht in der Nähe und der Aufseher an diesem Tag auf einem anderen Feld. Kunta arbeitete eifrig, um den anderen in Sicherheit zu wiegen, doch ging sein Atem schwer, als er da so stand, den Draht hielt und auf den Kopf des über seine Arbeit gebeugten Mannes sah. Das Messer lag wenige Schritte entfernt am Boden, wo der andere zuletzt Gras und Gesträuch umgehauen hatte.
Nach einem stummen Gebet zu Allah ließ Kunta beide Fäuste mit aller Kraft, deren sein schlanker Körper fähig war, auf den Nacken des Mannes niedersausen. Der Schwarze brach lautlos zusammen, wie von der Axt getroffen. Kunta fesselte ihm Füße und Hände mit Draht. Als er das Messer ergriff, spürte er das Verlangen, den Mann zu erstechen, doch war der schließlich nicht der verhaßte Samson. Kunta rannte gebückt auf den Wald zu. Ihm war so schwerelos zumute wie sonst nur im Traum.
Schon Augenblicke später wurde er aus dieser Stimmung gerissen, denn der Mann, den er verschont hatte, brüllte aus Leibeskräften. Ich hätte ihn doch töten sollen, dachte Kunta wütend und lief noch schneller. Anstatt sich gleich ins Unterholz zu verkriechen, umging er diesmal den Wald. Zunächst galt es, eine gewisse Strecke hinter sich zu bringen, erst dann durfte er daran denken, sich zu verstecken. Legte er schnell eine genügend große Entfernung zurück, hatte er Zeit, ein gutes Versteck zu suchen, wo er ausruhen konnte, bevor er im Schutze der Dunkelheit weiterfloh.
Kunta war gewillt, in den Wäldern zu leben wie ein Tier. Er hatte inzwischen manches über das toubob -Land erfahren, und in Afrika hatte er gelernt, Kaninchen und Nagetiere mit der Schlinge zu fangen und sie über einem rauchlosen Feuer zu braten. Jetzt, beim Laufen, achtete er darauf, daß Buschwerk ihn verbarg, ohne ihm aber hinderlich zu sein.
Als es dämmerte, wußte Kunta, daß er eine gute Strecke zurückgelegt hatte. Gleichwohl hielt er nicht ein; er querte Gräben und Schluchten und watete eine Zeitlang im Bett eines seichten Flusses. Erst als es völlig dunkel war, versteckte er sich im dichten Buschwerk, aus dem er aber notfalls leicht fliehen konnte. Im Dunkel liegend, lauschte er auf das Bellen von Hunden. Nichts. Ringsum Stille. War es möglich? Sollte er es diesmal wirklich schaffen?
Gleich darauf spürte er etwas auf seinem Gesicht, und er griff mit der Hand hin. Es schneite! Bald war er zugedeckt von einer Weiße, die reichte, so weit er blicken konnte. Lautlos und immer dichter rieselte es herab, bis Kunta fürchtete, er werde darunter begraben. Er fror, er hielt es nicht mehr aus, sprang auf und suchte nach einem geschützteren Platz.
Nach einer Weile stolperte er und fiel; er war nicht verletzt, doch als er aufstand, sah er mit Entsetzen, daß seine Füße im Schnee Spuren hinterlassen hatten, denen ein Halbblinder folgen konnte. Er wußte, es gab kein Mittel, die Spuren zu löschen, und er wußte, der Morgen war nicht mehr fern. Ihm blieb nur eines: er mußte weiter – noch weiter fort. Er versuchte schneller zu laufen, aber er war fast die ganze Nacht gerannt, und sein Atem ging mühsam. Das lange Messer wurde schwer; für Gestrüpp war es nützlich, doch nicht für Schnee. Im Osten wurde es hell, und von weit her vernahm Kunta den Klang von Hörnern. Zwar wechselte er gleich die Richtung, doch blieb das niederdrückende Gefühl, inmitten dieser weißen Einöde nirgendwo ein sicheres Versteck finden zu können.
Als in der Ferne Hunde bellten, packte Kunta ein Zorn wie nie zuvor. Er rannte wie ein gehetzter Leopard, doch das Bellen wurde immer lauter. Die Hunde holten ihn offensichtlich ein. Die Treiber waren gewiß nicht weit hinter ihnen. Ein Schuß knallte und trieb Kunta zu noch größerer Eile. Es nützte nichts. Die Hunde stellten ihn, und
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