Wurzeln
er stellte sich ihnen. Als sie ihn zähnefletschend anfielen, ging er auf sie los, er schlitzte dem ersten mit einem einzigen Messerhieb den Bauch auf und hackte dem zweiten die Klinge zwischen die Augen.
Weiter ging die Flucht. Reiter preschten durch Gebüsch, und Kunta suchte Schutz in dichterem Gestrüpp, wohin ihm die Pferde nicht folgen konnten. Dann fiel wieder ein Schuß und noch einer – und er spürte einen jähen Schmerz im Bein. Er stürzte, hörte die toubobs rufen und erneut schießen. Kugeln schlugen neben seinem Kopf in die Bäume. Sollen sie mich töten, dachte Kunta, ich werde sterben wie ein Mann. Dann traf noch ein Schuß dasselbe Bein, und er wurde zu Boden geschleudert wie von einer Riesenfaust. Am Boden liegend, sah er den Aufseher und einen anderen toubob , die Gewehre auf ihn gerichtet, näher kommen. Kunta wollte aufspringen. Sollten sie doch noch einmal auf ihn schießen! Doch wegen der Wunden an seinem Bein konnte er sich nicht erheben.
Ein toubob hielt das Gewehr an Kuntas Kopf, während der Aufseher Kunta die Kleider vom Leib riß, bis er nackt im Schnee stand. Das Blut von seinem Bein rötete den Schnee. Unablässig fluchend schlug der Aufseher ihn mit der Faust fast bewußtlos; dann wurde er an einen Baum gebunden, das Gesicht zum Stamm.
Kunta wurde so erbarmungslos gepeitscht, daß er schreien mußte und anschließend das Bewußtsein verlor.
Als er zu sich kam, lag er in seiner Hütte. Mit dem Bewußtsein kehrte auch der Schmerz zurück, ein quälender, alles umfassender Schmerz. Die kleinste Bewegung wurde zur Qual. Er lag wieder in Ketten. Noch schlimmer: seine Nase sagte ihm, daß sein Körper von den Füßen bis zum Kinn in ein mit Schweinefett getränktes Tuch eingehüllt war. Als die alte Köchin ihm zu essen brachte, wollte er sie anspucken, aber es gelang ihm nur, zu erbrechen. Er glaubte, Mitgefühl in ihren Augen zu lesen.
Zwei Tage später weckten ihn schon früh am Morgen Geräusche von Festlichkeiten. Vor dem großen Haus riefen die Schwarzen: »Weihnachtsgeschenk, Masser!«, und Kunta fragte sich, was sie da wohl zu feiern haben mochten. Er wollte sterben, seine Seele sollte sich zu den Ahnen gesellen; er wollte ein für allemal das endlose Leid in diesem toubob- Land hinter sich bringen, diesen Gestank, der einem den Atem benahm. Er kochte vor Wut bei dem Gedanken, daß die toubobs , anstatt ihn niederzuschlagen wie einen Mann, ihn nackt ausgezogen hatten. Wenn er wieder bei Kräften war, würde er Rache nehmen – und er würde wieder fliehen. Oder sterben.
Kapitel 48
Als Kunta endlich seine Hütte verließ, wiederum mit Fußfesseln, gingen ihm die meisten Schwarzen aus dem Weg, wobei sie ängstlich mit den Augen rollten, als wäre er ein wildes Tier. Nur die alte Köchin und der alte Mann, der das Horn blies, sahen ihn an.
Samson war nirgendwo zu erblicken. Kunta hatte keine Ahnung, was aus ihm geworden war, aber er war fort. Ein paar Tage später sah er den verhaßten Schwarzen jedoch wieder, gezeichnet mit den Striemen von Peitschenhieben. Das war Kunta eine Genugtuung. Doch beim geringsten Anlaß biß die Peitsche des Aufsehers wieder in seinen Rücken.
Man ließ ihn jetzt nicht mehr aus den Augen. Er gehorchte widerspruchslos jedem Befehl. War ein Tag um, verkroch er sich niedergeschlagen in die armselige kleine Hütte, in der er schlief.
Einsam wie er war, hielt Kunta Selbstgespräche, manchmal stumm, gelegentlich auch laut, »fa« , sagte er beispielsweise, »diese Schwarzen hier sind nicht wie wir. Ihre Knochen, ihre Sehnen, ihre Hände, ihre Füße sind nicht ihr eigen. Sie leben und atmen nicht für sich, sondern für die toubobs. Auch gehört ihnen nichts, nicht einmal die eigenen Kinder. Sie werden für andere gesäugt und gepflegt und großgezogen.«
Er sagte: »Mutter, diese Frauen hier tragen Tücher auf den Köpfen, aber wissen sie nicht richtig zu binden; fast alles, was sie kochen, enthält Fleisch oder Fett vom unreinen Schwein; und viele von ihnen haben bei toubobs gelegen, denn ihre Kinder sind mit der sasso-borro- Mischfarbe geschlagen.«
Und seinen Brüdern Lamin, Suwadu und Madi versicherte er, selbst der weiseste der Ältesten wisse nicht, daß das bösartigste aller wilden Tiere nicht halb so gefährlich sei wie die toubobs.
So vergingen die Monde. Die Zapfen aus »Eis« fielen herab und schmolzen, grünes Gras sproß aus dunkelroter Erde, Bäume zeigten Knospen, Vögel begannen zu singen. Und dann kam das Pflügen der Felder und
Weitere Kostenlose Bücher