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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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allmählich selber, daß eine Flucht in der Tat unmöglich war –, doch selbst wenn er nicht mehr von hier fortkam, konnte er nicht einfach aufhören, der zu sein, als der er geboren war, einzig um zu vermeiden, daß man ihn schlug. Den Gedanken, sein weiteres Leben als verkrüppelter Gärtner zu verbringen, empfand er als demütigend. Aber er konnte sich immerhin darauf einlassen, bis er wieder zu Kräften kam. Vielleicht tat es ihm auch gut, nicht mehr soviel zu grübeln und statt dessen den Boden zu bearbeiten – auch wenn es nicht der seine war.
    Am nächsten Tag zeigte ihm der alte Gärtner, was er zu tun hatte. Er hackte das Unkraut, das immer von neuem zwischen dem Gemüse sproß, las Raupen von Tomatenpflanzen, sammelte Kartoffelkäfer und zertrat sie. Alles, was der Alte tat, tat Kunta ihm nach. Sie kamen gut miteinander aus, aber sie wechselten kaum ein Wort, während sie so Seite an Seite arbeiteten. Gewöhnlich brummte der Alte nur etwas oder machte Gesten, wenn er Kunta einen neuen Handgriff zeigen mußte, und Kunta tat einfach wortlos, wie ihm geheißen wurde. Ihn störte das Schweigen nicht; seine Ohren brauchten sogar ein paar Stunden Ruhe zwischen den Gesprächen mit dem Fiedler, der ständig redete, wenn sie zusammen waren.
    Als Kunta eines Abends nach dem Essen auf der Schwelle seiner Hütte saß, kam ein Mann namens Gildon zu ihm, der das Geschirr für Pferde und Maulesel machte und Schuhwerk für die Schwarzen. Er hielt ihm ein Paar Schuhe hin. Er habe sie auf Anweisung des Masser eigens für Kunta angefertigt. Kunta nahm die Schuhe, nickte dankend und drehte sie in den Händen, bevor er sie anzog. Es war ein sonderbares Gefühl, diese Dinger an den Füßen zu haben, aber sie paßten. Der rechte Schuh war vorne mit Baumwolle ausgestopft. Gildon bückte sich und knüpfte die Schnürsenkel zu, dann meinte er, Kunta solle aufstehen und ein paar Schritte gehen, um zu sehen, wie er sich darin fühle. Beim linken Schuh war alles gut, aber im Stumpf spürte er ein Stechen, als er vorsichtig auftrat und etwas unbeholfen um seine Hütte ging. Gildon meinte, das liege nicht an dem Schuh, sondern am Stumpf, er werde sich schon daran gewöhnen.
    Eine Weile später bewegte sich Kunta weiter ins Freie hinaus. Da ihm der Stumpf noch immer Schmerzen bereitete, nahm er ein wenig von der Baumwollfütterung heraus. So war es besser, und jetzt wagte er, sein ganzes Gewicht auf den Stumpf zu verlegen. Es tat kaum noch weh. Ab und zu spürte er noch Schmerzen in den Zehen, die gar nicht mehr da waren. Er übte sich eifrig im Gehen und fühlte sich wohler, als seiner Miene zu entnehmen war; er hatte schon gefürchtet, sein Leben lang an Krücken gehen zu müssen. In derselben Woche kehrte der Einspänner des Masser von einer Reise zurück, und Luther, der schwarze Kutscher, nahm Kunta mit zur Hütte des Fiedlers, dem er breit grinsend etwas sagte. Der Fiedler gab Kunta mit Gesten und unter Verwendung bekannter Wörter zu verstehen, daß Masser William Waller, der toubob , der in dem großen Haus wohnte, jetzt Kuntas Besitzer war. »Luther sagt, es ist aufgeschrieben. Sein Bruder, der dich vorher hatte, hat dich an ihn verkauft, also gehörst du jetzt ihm.« Wie gewöhnlich zeigte Kunta seine Gefühle nicht. Er war zornig und fühlte sich gedemütigt, weil er jemandem »gehörte«; aber er war auch zutiefst erleichtert, denn er hatte ständig befürchtet, man werde ihn eines Tages zu der anderen Pflanzung zurückbringen – dieses Wort für die Farmen der toubobs hatte er inzwischen auch gelernt. Der Fiedler wartete, bis Luther gegangen war, dann begann er wieder zu sprechen – teils zu Kunta, teils zu sich selbst. »Die Nigger hier sagen, Masser William ist ein guter Herr, und ich hab schlimmere erlebt. Aber taugen tun sie alle nichts. Sie leben von uns Niggern. Nigger sind das Beste, was sie haben.«

Kapitel 52
    Nach dem Abendgebet ritzte Kunta jetzt meist arabische Buchstaben mit einem Stöckchen in den Lehmboden seiner Hütte, saß lange Zeit davor und betrachtete, was er geschrieben hatte. War es Zeit, mit den anderen zum Fiedler zu gehen, wischte er das Geschriebene fort. Gebete und seine Studien gaben ihm das Gefühl, er dürfe sich zu ihnen gesellen und könne er selbst bleiben, ohne doch allein sein zu müssen. In Afrika hätte er ja auch jemandem wie dem Fiedler zugehört, nur wäre es dort ein Musikant und griot gewesen, der von Dorf zu Dorf wanderte, auf seiner kora oder seinem balafon spielte und dazu

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