Wurzeln
bereiteten sich jetzt auf den »Erntetanz« vor, ein Fest, bei dem sogar der Masser zugegen sein würde. Die allgemeine Vorfreude war so groß, daß Kunta sich nicht ausschließen mochte, obschon ihm klar war, daß nicht Allah durch dieses Fest geehrt werden sollte. Wenigstens zusehen wollte er.
Als Kunta sich zu den übrigen Schwarzen gesellte, war das Fest schon im Gange. Der Fiedler, dessen Finger endlich wieder geschmeidig waren, sägte emsig die straff gespannten Saiten der Violine, und ein anderer Mann schlug im Takt zwei Rindsknochen gegeneinander. Nun rief jemand: »Cakewalk!« Die Frauen ließen sich von ihren Partnern die Schnürbänder neu knüpfen. Der Fiedler begann wie toll zu spielen, und die Tänzer ahmten nun mit ihren Schritten und Körperbewegungen den Rhythmus der täglichen Arbeit nach – das Pflanzen, Holzhacken, Baumwollpflücken, Sensenschwingen, Maispflücken, Heuaufladen. Das ähnelte alles so sehr dem Erntetanz in Juffure, daß Kunta unwillkürlich mit dem gesunden Fuß den Takt klopfte, bis er sich dessen bewußt wurde und verlegen um sich blickte, ob auch niemand was bemerkt hatte.
Aber niemand hatte es bemerkt, denn die allgemeine Aufmerksamkeit galt einem schlanken Mädchen, das so leicht herumwirbelte wie eine Feder, den Kopf warf, die Augen rollte und mit den Armen anmutige Gesten vollführte. Bald traten die anderen Tänzer erschöpft zur Seite, um Atem zu holen und zuzusehen; selbst der Partner dieser geschickten Tänzerin hatte Mühe mitzuhalten.
Der Tanz dieser beiden endete unter lautem Beifall, der sich noch steigerte, als Masser Waller das Mädchen mit einem Halbdollarstück belohnte. Er nickte dem Fiedler zu, der sich grinsend verbeugte, und verließ die Festversammlung. Der »Cakewalk« war aber noch lange nicht zu Ende. Die Paare, die sich inzwischen ausgeruht hatten, machten weiter und schienen die ganze Nacht durchtanzen zu wollen. Kunta ging bald in seine Hütte und lag hier nachdenklich auf seinem Lager, als es plötzlich an der Tür klopfte.
»Wer da?« fragte er. Erst zweimal war, seit er hier wohnte, jemand in seine Hütte gekommen.
»Tret gleich die Tür ein, Nigger!«
Kunta öffnete dem Fiedler und roch dabei den Alkohol in dessen Atem. Ihn ekelte davor, doch sagte er nichts, denn der Fiedler schien vor Neuigkeiten zu platzen, und es wäre unfreundlich gewesen, ihn abzuweisen, nur weil er betrunken war.
»Hast du den Masser gesehn?« sagte der Fiedler. »Hat nicht gewußt, daß ich so gut spielen kann! Jetzt paß mal auf, ob er mich nicht vor Weißen spielen läßt, daß sie mich hören, und mich vermietet!« Außer sich vor Glück setzte sich der Fiedler auf Kuntas dreibeinigen Hocker, die Geige im Schoß, und redete wie ein Wasserfall.
»Ha, ich hab mit den Besten gespielt. Hast du je von Sy Gilliat aus Richmond gehört?« Er zögerte. »Nein, wie solltest du! Hm, das ist der beste Niggerfiedler von der Welt, und ich hab mit ihm zusammen gespielt. Der spielt nur vor reichen weißen Leuten und auf dem Ball beim Pferderennen jedes Jahr. Dem seine Fiedel ist vergoldet, auf dem Kopf hat er eine Perücke! Ein Nigger, London Briggs heißt er, hat Flöte und Klarinette gespielt! Menuette. Kontertänze, Hornpipes, Jigs, ganz gleich, was es war, die Weißen haben wie verrückt getanzt!«
Der Fiedler schwadronierte weiter, bis er langsam nüchtern wurde. Er erzählte Kunta von den berühmten singenden Sklaven, die in den Tabakfabriken von Richmond arbeiteten; von schwarzen Instrumentalisten, die »Spinett« und »Piano« und »Violine« spielten – Kunta konnte sich darunter nichts vorstellen –, was alles sie den toubob -Musikanten abgesehen hatten, die den Kindern der Plantagenbesitzer Musikstunden gaben.
Morgens war es jetzt schon recht kalt. Die Frauen vermischten heißen flüssigen Talg mit Holzaschenlauge und Wasser, kochten das Ganze und ließen die dicke braune Masse in hölzernen Trögen vier Tage und drei Nächte abkühlen und fest werden. Dann schnitten sie rechteckige Stücke harter, brauner Seife daraus. Kunta sah angewidert zu, wie Äpfel, Pfirsiche und Dattelpflaumen zu »Brandy« vergoren und in Flaschen und Fässer abgefüllt wurden. Risse in den Lehmwänden der Sklavenhütten wurden mit einer Masse aus Tonerde und Schweineborsten abgedichtet. Frauen stopften Matratzen mit Maisstroh oder getrocknetem Moos, der Masser bekam eine Daunenmatratze.
Ein Sklave, der sich auf Holzarbeiten verstand, machte neue Zuber, in denen die Wäsche weichte,
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