Wurzeln
gegen einen weißen Christen. Kein Nigger darf predigen, wenn ein Weißer zuhört; zur Beerdigung von einem Nigger dürfen sich keine anderen Nigger versammeln. Du kriegst ein Ohr abgeschnitten, wenn die Weißen schwören, du hast gelogen, und beide Ohren, wenn sie sagen, du hast zweimal gelogen. Wenn du einen Weißen totschlägst, mußt du hängen; wenn du einen Nigger umbringst, wirst du nur ausgepeitscht. Ein Indianer, der einen entflohenen Nigger schnappt, kriegt als Belohnung so viel Tabak, wie er schleppen kann. Keiner darf Nigger lesen und schreiben lehren oder ihnen Bücher geben. Es ist sogar verboten, daß Nigger auf Trommeln schlagen – oder sonst was Afrikanisches machen.«
Der Braune wußte wohl, daß Kunta ihn nicht verstehen konnte, aber er schien gern zu reden und glaubte womöglich, wenn Kunta nur aufmerksam zuhörte, würde er schon etwas mitbekommen. Und wirklich meinte Kunta, ihn verstehen zu können. Er hätte darüber, daß jemand zu ihm sprach wie ein Mensch zum anderen, zugleich lachen und weinen mögen.
»Und wegen deinem Fuß da, ha! Werden nicht nur Füße und Arme abgehackt, auch Schwänze und Eier. Ich hab viele Nigger so verstümmelt gesehn, und die haben alle noch gearbeitet. Hab gesehn, wie man Nigger geschlagen hat, bis ihnen das Fleisch von den Knochen gefallen ist. Niggerfrauen mit Babys im Bauch werden auch geschlagen – Gesicht nach unten, mit dem Bauch in ein Loch. Terpentin oder Salz in die blutigen Striemen, dann mit Stroh abgerieben. Nigger, die von Aufstand reden, müssen in glühender Asche tanzen, bis sie umfallen. Gibt kaum was, was man nicht macht mit Niggern, und wenn sie dabei sterben, ist das kein Verbrechen, wenn sie dem gehören, der’s gemacht oder befohlen hat. So ist das Gesetz. Und den Niggern auf den Zuckerpflanzungen in Westindien geht’s noch viel, viel dreckiger.«
Kunta hörte noch immer zu – und versuchte, einiges zu verstehen –, als ein Junge, der im ersten kafo sein mochte, mit dem Abendessen des Braunen hereinkam. Als er Kunta sah, eilte er hinaus und kam kurz darauf mit einem Teller Essen auch für ihn zurück. Nachdem beide stumm gegessen hatten, erhob sich Kunta, der wußte, daß jetzt bald die anderen in die Hütte kommen würden, aber der Braune bedeutete ihm zu bleiben.
Als die anderen einige Minuten später erschienen, konnte keiner seine Überraschung über Kuntas Anwesenheit verbergen – vor allem Bell nicht, die unter den letzten war. Gleich den meisten anderen nickte sie nur – aber mit der Spur eines Lächelns, wie Kunta schien. In der einbrechenden Dunkelheit begann der Braune nun zu der versammelten Menge zu reden, wie er zu Kunta geredet hatte. Er schien Geschichten zu erzählen. Kunta wußte, wann eine Geschichte zu Ende war, denn dann lachten alle, oder sie stellten Fragen. Manchmal erkannte Kunta ein Wort, das seinen Ohren inzwischen vertraut geworden war.
Als Kunta zu seiner Hütte zurückging, befand er sich in einem Aufruhr von Gefühlen wegen seines Umgangs mit diesen Schwarzen. Er lag noch lange wach, den Kopf voller zwiespältiger Gedanken. Er erinnerte sich an etwas, das Omoro einmal gesagt hatte, als er, Kunta, sich weigerte, Lamin einen Bissen von einer herrlichen Mangofrucht abzugeben: »Wenn du die Hand ballst, kann dir niemand etwas hineingeben, noch kann deine Hand etwas aufheben.«
Aber er wußte auch, sein Vater wäre mit ihm der Ansicht gewesen, daß er niemals so wie diese Schwarzen hier werden dürfte. Doch allabendlich verspürte er den Drang, sich den anderen in der Hütte des Braunen zuzugesellen. Er widerstand der Verlockung, humpelte aber fast jeden Nachmittag zu dem Braunen hinüber, wenn dieser allein war.
»Üb meine Finger, daß ich wieder fiedeln kann«, erklärte der eines Tages, als er die Kolben preßte. »Wenn ich Glück hab, kauft mich dieser Masser hier und leiht mich aus. Ich hab in ganz Virginia schon gespielt, gab gutes Geld für ihn und mich. Es gibt kaum was, was ich nicht gesehen oder gemacht hab, wenn du auch nicht weißt, von was ich rede. Die Weißen sagen, die Afrikaner sind dumm, wohnen in Grashütten, schlagen sich tot und fressen sich gegenseitig auf.«
Er hielt in seinem Monolog inne, als erwarte er eine Antwort, aber Kunta sah ihn nur mit undurchdringlichem Gesicht an und fingerte dabei an seinem Talisman herum.
»Da hast du’s! Du mußt das Zeug da alles wegschmeißen«, sagte der Braune, auf den Talisman deutend. »Nützt dir alles nichts, ist besser, du findest dich
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