Wurzeln
Zögernd folgte er ihr und stellte den Korb auf den Tisch. Er wollte sich seine Überraschung angesichts der fremdartigen Dinge, die er überall in diesem Raum sah, den man »Küche« nannte, nicht anmerken lassen und schon umkehren, als sie ihn am Arm berührte und ihm etwas reichte, das wie zwei Scheiben Brot mit einer Scheibe Rindfleisch dazwischen aussah. Als er verwirrt hinstarrte, sagte sie: »Hast du noch nie ein Sandwich gesehn? Beißt dich nicht. Du mußt reinbeißen. Und jetzt geh.«
Mit der Zeit gab Bell ihm mehr mit, als er in der Hand tragen konnte – gewöhnlich einen Blechteller mit Maisbrot und dazu frisches Senfgemüse in seinem eigenen köstlichen Saft. Er hatte den Senf selbst ausgesät – in Gartenerde, vermischt mit Dung von der Kuhweide –, und die grünen Schößlinge waren rasch und üppig gewachsen. Nicht weniger liebte er die Art, wie sie die lange, schmale Ackererbse zubereitete, die an den Ranken wuchs, welche sich um die Zuckermaisstengel wanden. Sie gab ihm, soweit er das feststellen konnte, niemals Fleisch vom Schwein – warum, blieb unklar. Doch was sie ihm auch gab, er wischte immer den Teller sorgfältig mit einem Lappen sauber, bevor er ihn zurückbrachte. Meistens traf er sie an ihrem Herd an, einem Ding aus Eisen, in dem Feuer brannte; manchmal kniete sie auch am Boden und schrubbte die Dielen mit Eichenasche und einer hartborstigen Bürste. Er hätte gern mit ihr gesprochen, konnte seiner Anerkennung aber nur durch ein Brummen Ausdruck geben, das sie jetzt erwiderte.
Als Kunta eines Sonntags nach dem Abendessen in der Hütte des Fiedlers auf und ab ging und sich gedankenlos auf den Bauch klopfte, hielt der Braune, der während des Essens ununterbrochen geredet hatte, plötzlich in seinem Monolog inne und rief: »Ha, sieh da, du kriegst ja Fleisch auf die Rippen!« Das stimmte. Seit er aus Afrika verschleppt worden war, hatte Kunta nicht mehr so gut ausgesehen – und sich nicht mehr so wohl gefühlt.
Nach Monaten unablässigen Knetens zur Kräftigung seiner Finger fühlte sich auch der Fiedler so wohl wie seit langem nicht mehr – seit man ihm die Hand gebrochen hatte –, und an den Abenden hatte er wieder zu spielen begonnen. Das merkwürdige hölzerne Ding unters Kinn geklemmt, fuhr der Fiedler mit seinem Stock, der aus langen, dünnen Haaren zu bestehen schien, über die Saiten, und die übliche Abendversammlung spendete jedesmal Beifall, wenn ein Stück zu Ende war. »Das ist gar nichts!« pflegte er verächtlich zu sagen. »Finger sind doch nicht geschmeidig genug.«
Später, als sie allein waren, fragte Kunta stockend: »Was ist – geschmeidig?«
Der Fiedler krümmte und streckte die Finger. »Geschmeidig! Geschmeidig. Klar?« Kunta nickte.
»Als Nigger hast du’s gut«, fuhr der Fiedler fort. »Nur den ganzen Tag im Garten rumtrödeln. Hat kaum einer so ’n leichten Job, außer auf Pflanzungen, die viel größer sind als die hier.«
Kunta glaubte verstanden zu haben, und ihm behagte es nicht. »Arbeit schwer«, sagte er. Und mit einer Kopfbewegung zum Fiedler auf seinem Stuhl fügte er hinzu: »Schwerer als das. «
Der Fiedler grinste. »Hast recht, Afrikaner.«
Kapitel 53
Die »Monate«, wie man die Monde hier nannte, gingen jetzt schneller vorüber, und bald war die heiße Jahreszeit, der »Sommer«, vorbei. Die Erntezeit begann und brachte allen zusätzliche Pflichten. Während die übrigen Schwarzen – sogar Bell – mit der schweren Feldarbeit beschäftigt waren, erwartete man von Kunta, daß er außer seinem Garten auch die Hühner, das Vieh und die Schweine versorgte. Und auf dem Höhepunkt der Baumwollernte mußte er den Wagen die Reihen entlangfahren. Abgesehen vom Füttern der unreinen Schweine, wobei ihm fast übel wurde, machte Kunta die zusätzliche Arbeit nichts aus, denn er empfand sich dabei weniger als Krüppel. Allerdings kam er selten vor Einbruch der Dunkelheit in seine Hütte und war dann so müde, daß er oft das Abendessen vergaß. Wenn er den ausgefransten Strohhut abgenommen und die Schuhe ausgezogen hatte, ließ er sich auf seine Maisstrohmatratze fallen, zog die mit Baumwolle gefütterte Leinwanddecke über sich und schlief sofort in den noch schweißfeuchten Kleidern ein.
Die Erntewagen wurden erst mit Baumwolle beladen, dann mit Maiskolben, goldbraune Tabakblätter wurden zum Trocknen aufgehängt, Schweine wurden geschlachtet, das Fleisch über schwelendem Hickoryholz geräuchert, und die Nächte wurden kalt. Alle
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