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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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gealtert.
    Hinzu kam, daß es offenbar keine nützliche Arbeit gab, die Kunta verrichten konnte, obwohl er sich auf seinen Krücken jetzt schon behende umherbewegte. Es gelang ihm, den Eindruck zu erwecken, daß er genügend mit sich selbst beschäftigt war und kein Verlangen nach Gesellschaft hatte. Dabei spürte er, daß die anderen Schwarzen ihm ebensowenig trauten wie er ihnen. Nachts fühlte er sich einsam und bedrückt. Er stierte stundenlang ins Dunkel. Es war, als breite sich eine Krankheit in ihm aus. Verblüfft und beschämt zugleich gestand er sich ein, daß er ein Bedürfnis nach Liebe spürte.
    Kunta war zufällig eines Tages im Freien, als der Wagen des großen toubob vorfuhr. Neben dem Schwarzen vorn auf dem Bock saß ein Mann von sasso-borro -Hautfarbe. Als der toubob ausgestiegen und ins Haus gegangen war, fuhr der Wagen noch ein Stück weiter. Kunta sah, wie der Kutscher den Braunen unter den Armen faßte, um ihm beim Absteigen zu helfen, denn eine seiner Hände war in etwas eingepackt, das wie gehärteter weißer Lehm aussah. Der Mann schien eine Verletzung an der Hand zu haben. Mit der gesunden Hand holte der Braune einen merkwürdig geformten dunklen Kasten aus der Kutsche und folgte dann dem Kutscher die Reihe der Hütten entlang bis zu einer am Ende, die leer war, wie Kunta wußte.
    Die Neugierde trieb Kunta am Morgen zu dieser Hütte hinaus. Er hatte nicht damit gerechnet, den Braunen gleich hinter der Tür sitzend vorzufinden. Sie sahen einander stumm an. Miene und Augen des Mannes waren ausdruckslos. Und tonlos war auch seine Stimme, als er sagte: »Du bist einer von diesen afrikanischen Niggern.« Kunta verstand das Wort Nigger, das er oft gehört hatte, aber nicht das übrige. So blieb er einfach stehen. »Dann mach, daß du fortkommst!« Kunta hörte die Schärfe des Tones, ahnte die Bedeutung der Worte. Er stolperte beinahe, als er sich auf seinen Krücken umdrehte und wütend und verwirrt zu seiner Hütte zurückhumpelte.
    Wenn er künftig an diesen Braunen dachte, wünschte er, er verstünde wenigstens genug von der toubob- Sprache, um ihm erwidern zu können: »Zumindest bin ich schwarz und nicht braun wie du!« Von diesem Tag an würdigte Kunta, wenn er draußen war, die Hütte des Braunen keines Blickes mehr. Doch die Neugier ließ ihm keine Ruhe, denn jeden Abend nach dem Essen versammelten sich die meisten anderen Schwarzen dort, und wenn Kunta von seiner Tür aus angestrengt lauschte, konnte er die Stimme des Braunen hören, der fast ununterbrochen redete. Manchmal brachen die anderen in Lachen aus, und ab und zu hörte er, wie sie ihn mit Fragen bestürmten. Wer war nur dieser Mann?
    Etwa zwei Wochen später begegnete Kunta dem Braunen vor der Latrine. Der Braune hatte nicht mehr das dicke weiße Zeug um den Arm und hielt in jeder Hand einen Maiskolben. Auf der Latrine gingen Kunta die Schmähworte durch den Kopf, die er ihm gern gesagt hätte. Als er herauskam, stand der Braune noch immer da, ganz ruhig, als wäre nichts zwischen ihnen geschehen. Unablässig die Maiskolben mit den Fingern pressend, bedeutete er Kunta mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen.
    Das war so völlig unerwartet – und entwaffnend –, daß Kunta gar nicht zum Nachdenken kam, sondern dem Braunen wortlos zu dessen Hütte folgte. Gehorsam setzte sich Kunta auf den Hocker, auf den der Braune deutete, und sah zu, wie sein Gastgeber sich auf einen anderen Hocker setzte, immer die Maiskolben in Händen. Ob der Braune wohl wußte, daß er mit den Maiskolben hantierte wie ein Afrikaner?
    Nach einer Weile nachdenklichen Schweigens begann der Braune zu sprechen: »Es heißt, du bist verrückt? Du hast Glück, daß du noch lebst. Die Weißen hätten dich abmurksen können. Dagegen gibt’s kein Gesetz. Genauso wie mir einer die Hand gebrochen hat, weil ich nicht mehr fiedeln wollte. Das Gesetz sagt, wer dich auf der Flucht erwischt, kann dich totschlagen, ohne Strafe. Das Gesetz wird den Weißen alle sechs Monate verlesen, in der Kirche. Bring mich nicht auf die Gesetze von den Weißen! In jeder neuen Siedlung bauen sie zuerst ein Gerichtsgebäude und machen neue Gesetze; dann bauen sie eine Kirche, damit man glaubt, daß sie Christen sind. Alle Gesetze sind gegen die Nigger. Nigger dürfen keine Gewehre haben, nicht mal einen Stock, der wie ein Prügel aussieht. Zwanzig Peitschenhiebe für jeden Nigger ohne Papiere, zehn für jeden, der einem Weißen ins Gesicht sieht, und dreißig für alle, die die Hand erheben

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