Wurzeln
wackeligen Tisch an und kauerte sich neben ihn.
»Ich stamme aus Ghana und gehöre zum Akan-Volk. Die Weißen nennen mich Pompey, aber mein richtiger Name ist Boteng Bediako. Bin schon lange hier. War auf sechs Pflanzungen von den Weißen. Hoffe bloß, das hier ist die letzte. Und du?«
Kunta versuchte, sich ebenso knapp auszudrücken wie der Mann aus Ghana, als er ihm von Gambia erzählte, von Juffure, davon, daß er ein Mandinka war, von seiner Familie, seiner Gefangennahme und seinen Fluchtversuchen, von seinem Fuß, seinen Jahren als Gärtner und jetzt als Kutscher.
Der Ghanese hörte aufmerksam zu und saß, als Kunta mit seinem Bericht fertig war, erst eine Weile stumm da und dachte nach. Dann sagte er: »Wir haben alle viel zu leiden. Ein weiser Mensch versucht daraus zu lernen.« Er machte eine Pause und sah Kunta forschend an. »Wie alt bist du?« Kunta sagte, sechsunddreißig Regen.
»So siehst du nicht aus. Ich Sechsundsechzig.«
»So siehst du auch nicht aus«, sagte Kunta.
»Ich bin schon länger hier wie du auf der Welt. Ich wünschte bloß, ich hätte damals gewußt, was ich jetzt gelernt hab. Aber du bist noch jung, also erzähl ich’s dir. Erzählen die alten Großmütter den kleinen Kindern in deinem Land auch Geschichten?« Kunta nickte. »Dann erzähl ich dir eine. Darüber, wie man aufwachsen tut in meinem Land.
Ich weiß noch genau, wie der Häuptling von unserem Akan-Volk auf seinem dicken Stuhl aus Elefantenzähnen sitzt, und neben ihm steht ein Mann, der immer einen Schirm über seinen Kopf hält. Und auf der anderen Seite ist der Mann, durch den der Häuptling spricht. Nur so hat er je gesprochen, und nur so kann einer mit ihm sprechen – durch den Mann. Und dann sitzt noch ein Junge zu Füßen vom Häuptling. Dieser Junge bedeutet die Seele vom Häuptling, und er bringt Botschaften vom Häuptling zu den Leuten. Dieser Junge hat ein Schwert mit einer breiten Klinge, damit jeder genau weiß, wer er ist. Ich bin der Junge gewesen, der den Leuten die Botschaften bringt. Dabei haben die Weißen mich gefangen.«
Kunta wollte etwas sagen, aber der Ghanese hob die Hand.
»Die Geschichte geht noch weiter. Was ich sagen will – oben auf dem Schirm vom Häuptling ist eine geschnitzte Hand, die ein Ei hält. Das bedeutet, daß der Häuptling seine Macht vorsichtig benützen tut. Und der Mann, durch den der Häuptling spricht, hält immer einen Stock. Und auf dem Stock ist eine Schildkröte eingeschnitzt. Die Schildkröte bedeutet, daß der Schlüssel zum Leben Geduld ist.« Der Ghanese machte eine Pause. »Und auf dem Panzer von der Schildkröte ist eine Biene geschnitzt. Die Biene bedeutet, daß nichts durch den harten Panzer von der Schildkröte durchstechen kann.«
Im flackernden Kerzenlicht der Hütte machte der Ghanese wieder eine Pause. »Das ist es, was ich dir sagen will, was ich hier in dem Land von den Weißen gelernt hab. Was du am meisten brauchst, um hier leben zu können, das ist Geduld – mit einem harten Panzer.«
Kunta war fest überzeugt, daß dieser Mann in Afrika kintango oder alcala , wenn nicht überhaupt Häuptling geworden wäre. Aber er wußte nicht, wie er seine Gefühle ausdrücken sollte, so saß er nur da und sagte gar nichts.
»Siehst du, du hast beides«, sagte der Ghanese schließlich und lächelte. Kunta stotterte eine Entschuldigung, aber seine Zunge war noch immer wie gelähmt. Der Ghanese lächelte wieder, schwieg einen Moment und sagte dann: »Von euch Mandinkas sagt man in meiner Heimat, daß sie große Reisende und Händler sind.« Er ließ den Satz in der Luft hängen und wartete offensichtlich auf Kuntas Erwiderung.
Endlich fand Kunta seine Sprache wieder. »Das ist wahr. Meine Onkel sind Reisende. Wenn man ihnen beim Erzählen zuhört, kann man denken, sie waren schon ungefähr überall. Ich und mein Vater sind einmal in ein neues Dorf gegangen, das weit weg von Juffure gebaut wurde. Ich wollte immer nach Mekka und Timbuktu und Mali wie sie – aber bevor ich das konnte, bin ich gestohlen worden.«
»Ich weiß ein bißchen Bescheid über Afrika«, sagte der Ghanese. »Der Häuptling hat mich bei weisen Männern lernen lassen. Ich hab nicht vergessen, was sie sagten. Und hier hab ich versucht, es mit dem, was ich sehe und höre, zu verbinden, und ich weiß, daß die meisten von uns, die hier sind, in West-Afrika gestohlen wurden – von deinem Gambia die ganze Küste runter bis zu meinem Guinea. Hast du davon gehört, was die Weißen
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