Wurzeln
›Goldküste‹ nennen?«
Kunta sagte nein. »Die haben es da wegen dem Gold so genannt. Die Küste geht gradeaus bis zum Volta. Und an der Küste fangen die Weißen die Fanti und die Ashanti. Von den Ashanti wird behauptet, daß sie meistens die Aufstände und die Revolten anführen, wenn sie hierhergebracht worden sind. Trotzdem tun die Weißen mit die höchsten Preise für sie zahlen, weil sie schlau sind und stark und Mut haben.
Und von da, was sie ›Sklavenküste‹ nennen, kriegen sie Yorubas und Dahomans, und um den Niger rum holen sie Ibos.« Kunta warf ein, er habe gehört, die Ibos seien ein sanftes Volk.
Der Ghanese nickte. »Ich hab von dreißig Ibos gehört, die haben sich an den Händen gefaßt und sind singend in einen Fluß gegangen und haben sich ertränkt. Das ist in Louisiana gewesen.«
Kunta begann unruhig zu werden. Womöglich wollte der Masser aufbrechen, und er ließ ihn warten. Für einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden, aber als Kunta noch überlegte, wie er ein passendes Thema für einen Aufbruch finden könnte, sagte der Ghanese: »Bestimmt gibt es hier keinen, mit dem wir uns hinsetzen und so reden können wie wir. Oft hat meine qua-qua sagen müssen, was mir durch den Kopf gegangen ist. Möglich, daß ich vielleicht zu dir gesprochen hab, ohne daß ich wußte, daß es dich gibt.«
Kunta sah den Ghanesen lange tiefbewegt an, dann standen beide auf. Im Kerzenlicht sah Kunta auf dem Tisch die vergessenen Brote, die Liza ihm mitgegeben hatte. Er deutete auf sie und lächelte.
»Essen können wir immer. Ich weiß, daß du jetzt gehen mußt«, sagte der Ghanese. »In meiner Heimat hätt ich dir was aus Holz geschnitzt, während wir reden; zum Mitnehmen.«
Kunta sagte, in Gambia hätte er etwas aus großen, getrockneten Mangokernen geschnitzt. »Oft und oft wünsch ich mir, ich hätte Mangosamen zum Pflanzen und Großziehn und zur Erinnerung an zu Hause«, sagte er.
Der Ghanese sah Kunta bekümmert an, dann lächelte er. »Du bist jung. Du hast genug Samen, du brauchst nur eine Frau zum Reinpflanzen.«
Kunta wußte vor Verlegenheit nicht, was er antworten sollte. Der Ghanese streckte seinen linken Arm aus, und sie schüttelten sich auf afrikanische Weise die linke Hand, um auszudrücken, daß sie sich bald wiedersehen würden.
»Ah-salakium-salaam.«
»Malaika-salaam.«
Und Kunta humpelte eilig hinaus in die Abenddämmerung, vorbei an den anderen kleinen Hütten und hinauf zum Herrenhaus, besorgt, daß der Masser schon herausgekommen und nach ihm Ausschau gehalten haben könnte. Aber es verging noch eine halbe Stunde, bevor er erschien, und als Kunta den Einspänner heimwärts fuhr – die Zügel in seiner Hand fühlte er so wenig, wie er die Pferdehufe auf dem Weg hörte –, war ihm, als hätte er mit seinem lieben Vater Omoro gesprochen. Kein Abend hatte ihm je mehr bedeutet in seinem Leben.
Kapitel 62
»Gestern geht Toby an mir vorbei, ich ruf: ›He, komm her, setz dich zu mir, Nigger!‹ Hättst du mal sehn sollen, wie der mich anguckt! Und sagt nicht mal was! Was meinst du, was er hat?« fragte der Fiedler den Gärtner. Der Gärtner hatte keine Ahnung, also fragten sie Bell. »Weiß ich nicht. Wenn er krank ist oder so, soll er’s sagen. Ich laß ihn einfach in Ruh, wenn er so komisch ist«, erklärte sie.
Sogar Masser Waller fiel auf, daß sein lobenswert zurückhaltender und zuverlässiger Kutscher anders war als sonst. Er hoffte nur, daß es sich nicht um das Frühstadium einer örtlich grassierenden Epidemie handelte, der sie beide ausgesetzt gewesen waren, und fragte Kunta eines Tages, ob er sich krank fühlte. Kunta verneinte rasch, und Masser Waller war beruhigt – solange sein Kutscher ihn nur dahin brachte, wo er hinwollte.
Kunta war von der Begegnung mit dem Ghanesen bis ins Innerste aufgewühlt, und das allein schon brachte ihm zu Bewußtsein, wie verloren er war. Von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr war sein Widerstand schwächer, seine Bereitschaft, sich abzufinden, größer geworden, bis er schließlich, ohne es auch nur recht zu merken, vergessen hatte, wer er war. Er hatte zwar den Fiedler, den Gärtner, Bell und die anderen Schwarzen besser kennen- und mit ihnen auskommen gelernt, aber jetzt wurde ihm klar, daß er mit ihnen so wenig gemein hatte wie sie mit ihm. An dem Ghanesen gemessen, waren der Fiedler, der Gärtner und Bell für Kunta nur noch lästig. Er war froh, daß sie sich zurückhielten. Wenn er nachts auf seiner Pritsche
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