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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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auszuweichen. Als sie an jenem Tag vorbeigefahren waren, hatte eine junge Jola-Frau in Ketten angefangen, mitleiderregend zu kreischen. Er hatte sich umgedreht, um zu sehen, was los war, und gemerkt, daß die großen Augen der Jola-Frau auf ihn auf seinem hohen Kutschbock gerichtet waren. Ihr im Schrei aufgerissener Mund flehte ihn an, ihr zu helfen. Eine Woge von Bitterkeit und Scham wallte in Kunta auf. Er zog den Pferden mit der Peitsche eins über, daß sie einen Satz vorwärts machten und der Masser zu Kuntas Schreck hart nach hinten geworfen wurde. Aber der Masser hatte nichts gesagt.
    Einmal hatte Kunta einen afrikanischen Sklaven in der Kreisstadt getroffen, aber keiner verstand des anderen Stammessprache, und der andere Mann konnte die toubob -Sprache noch nicht. Es schien Kunta ganz unglaublich, daß er erst nach zwanzig Jahren im Land der Weißen auf einen Afrikaner gestoßen war, mit dem er Kontakt aufnehmen konnte.
    Doch während der nächsten beiden Monate des Frühlings 1788 schien es Kunta ganz so, als ob der Masser jeden einzelnen seiner Patienten, jeden Verwandten, jeden Freund in fünf Landkreisen besuchen wollte – nur seine eigenen Eltern auf Enfield nicht. Kunta hatte sogar überlegt, ob er nicht zum erstenmal um eine Reisegenehmigung bitten sollte, aber er wußte, daß man ihm Fragen nach Grund und Ziel der Reise stellen würde. Er konnte natürlich sagen, er wolle Liza, die Köchin auf Enfield, besuchen, aber dann würde der Masser denken, es spinne sich etwas zwischen ihnen an, und das würde er womöglich seinen Eltern erzählen, die es womöglich Liza erzählen würden – und dann hätte er die Bescherung. Er wußte, sie hatte ein Auge auf ihn, ein Gefühl, das er entschieden nicht teilte. So ließ er den Gedanken wieder fallen.
    Seine Ungeduld, nach Enfield zu kommen, machte ihn reizbar gegen Bell, und er entschuldigte sich vor sich selbst damit, daß er mit ihr nicht darüber reden konnte, weil er ihre Abneigung gegen alles Afrikanische nur zu gut kannte. Und auch dem Fiedler und dem Gärtner wollte er sich nicht anvertrauen; sie würden es ja bestimmt nicht weitererzählen, aber sie könnten auch niemals verstehen, was es für ihn bedeutete, jemandem begegnet zu sein, mit dem er nach zwanzig Jahren über seine Heimat sprechen konnte.
    Dann, eines Sonntags nach dem Mittagessen, schickte der Masser plötzlich ohne jede Vorankündigung nach ihm: er solle einspannen, man fahre nach Enfield. Kunta sprang mit einem Satz auf und zur Tür hinaus. Bell starrte ihm verwundert nach.
    Als er die Küche auf Enfield betrat, hantierte Liza zwischen ihren Töpfen. Er fragte, wie es ihr gehe, und fügte rasch hinzu, daß er nicht hungrig sei.
    Sie sah ihn voller Wärme an und sagte mit sanfter Stimme: »Hab dich lange nicht gesehn.« Dann wurde sie ernst. »Ich hab das von dir und dem Afrikaner, den wir neu gekriegt haben, gehört. Der Masser auch. Ein paar Nigger haben es ihm erzählt. Aber er hat nichts weiter gesagt, also brauchst du dir keine Sorgen machen.« Sie nahm Kuntas Hand und drückte sie. »Wart nur ein Momentchen.«
    Kunta war nahe daran, vor Ungeduld zu platzen, aber Liza machte flink und geschickt zwei dick mit Fleisch belegte Brote zurecht und wickelte sie ein. Sie gab sie ihm und drückte wieder seine Hände. Dann schob sie ihn zur Küchentür, wo sie zögerte. »Du hast mich nie nicht gefragt, darum hab ich dir auch nichts davon gesagt, aber meine Mammy war eine afrikanische Niggerfrau. Sicher hab ich dich darum so gern.«
    Aber da sie sah, wie brennend Kunta fort wollte, drehte sie sich um und deutete in eine Richtung. »Da, die Hütte mit dem kaputten Schornstein ist seine. Die meisten Nigger haben heute vom Masser freigekriegt. Die kommen nicht wieder, bevor es nicht dunkel wird. Bloß mußt du sehn, daß du da bist bei deinem Wagen, wenn dein Masser wieder rauskommt.«
    Kunta humpelte rasch zum Sklavenquartier und klopfte an die Tür der windschiefen Hütte.
    »Wer ist da?« fragte die Stimme, an die er sich so gut erinnerte.
    »Ah-salakium-salaam!« sagte Kunta. Er hörte ein rasches Huschen von innen, und dann flog die Tür weit auf.

Kapitel 61
    Als Afrikaner zeigten die beiden Männer nicht, wie sehr sie auf diesen Augenblick gewartet hatten. Der Altere bot Kunta seinen einzigen Stuhl an, als er aber sah, daß sein Gast lieber, wie er es in seinem Heimatdorf getan haben würde, auf dem Boden kauerte, brummte der qua-qua- Spieler zufrieden, zündete die Kerze auf seinem

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