Wurzeln
mit Verspätung an, weil der Masser wie gewöhnlich unterwegs noch halten ließ und nach einem Patienten sehen mußte. Als sie über die baumbestandene Allee auf das von oben bis unten hellerleuchtete Herrenhaus zufuhren, sah Kunta, daß das Fest bereits im vollen Gange war. Vor der Eingangstür hielt er die Pferde an, sprang vom Bock, um strammzustehen, während ein Hausdiener dem Masser aus der Kutsche half – und in diesem Augenblick hörte er es. Irgendwo ganz in der Nähe schlugen Hände mit Ballen und Fingerspitzen jenes trommelartige Kürbisinstrument, das qua-qua hieß – und es wurde mit solcher Kraft und Präzision geschlagen, daß Kunta wußte, der Musiker mußte ein Afrikaner sein.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als stramm stehenzubleiben, bis sich die Tür hinter dem Masser schloß. Dann aber warf er dem wartenden Stallburschen die Zügel zu und rannte, so schnell es ihm sein halber Fuß erlaubte, um das Haus herum, durch den Garten. Die lauter und lauter werdenden Klänge kamen aus der Mitte einer Gruppe von Schwarzen. Unter einer Kette von Laternen, die die Wallers den Sklaven zur Feier ihres eigenen Thanksgiving-Festes aufzuhängen erlaubt hatten, klatschten sie rhythmisch und stampften auf den Boden. Ohne Rücksicht auf ihre empörten Zurufe zwängte Kunta sich durch ihre Reihen zu dem freien Kreis in der Mitte vor. Und da war er: ein gebeugter, grauhaariger, sehr schwarzer Mann, der zwischen einem Mandolinenspieler und zwei anderen, die Rinderknochen schlugen, am Boden kauerte und auf seiner qua-qua trommelte. Die plötzliche Unruhe hatte ihn aufsehen lassen – da trafen sich ihre Blicke –, und im selben Moment sprangen sie aufeinander zu, während die anderen Schwarzen sie verständnislos anstarrten und zu kichern begannen, als sie sich umarmten.
»Ah-salakium-salaam!«
»Malakium-salaam!«
Die Worte kamen so selbstverständlich, als hätten sie Afrika nie verlassen. Kunta hielt den Älteren auf Armeslänge von sich. »Hab dich noch nie hier gesehn!« rief er aus.
»Bin jetzt erst von einer andern Pflanzung hierher verkauft worden«, sagte der andere.
»Mein Masser ist deinem Masser sein Junge«, sagte Kunta. »Ich bin sein Kutscher.«
Die Männer um sie herum begannen zu murren, die Musik sollte weitergehen. Außerdem fühlten sie sich offenbar auch unbehaglich bei dieser unverhohlenen Zurschaustellung afrikanischer Gemeinsamkeit zwischen den beiden. Kunta wußte wie der qua-qua -Spieler, daß sie die anderen nicht weiter reizen durften, sonst würde womöglich einer von ihnen den Weißen davon berichten.
»Ich komme wieder!« sagte Kunta.
»Salakium-salaam!« sagte der qua-qua- Spieler und kauerte sich wieder auf den Boden.
Kunta blieb noch einen Augenblick stehen und hörte der Musik zu, dann wandte er sich plötzlich ab und drängte sich verwirrt und traurig, den Blick gesenkt, durch die Menge zurück. Er ging zum Wagen, um dort auf Masser Waller zu warten.
In den folgenden Wochen schwirrte ihm der Kopf vor Fragen über den qua-qua -Spieler. Zu welchem Stamm mochte er gehören? Mit Sicherheit war er kein Mandinka, und er gehörte auch zu keinem der anderen Stämme, die Kunta in Gambia oder auf dem großen Kahn kennengelernt hatte. Seine grauen Haare verrieten, daß er schon älter war, und Kunta fragte sich, ob er wohl so viele Regen alt sei wie Omoro jetzt. Und wieso hatten sie gleich gespürt, daß jeder von ihnen ein Diener Allahs war? Die Leichtigkeit, mit der der qua-qua- Spieler die toubob- Sprache und die islamische beherrschte, verriet, daß er schon lange im Lande der Weißen sein mußte. Wahrscheinlich mehr Regen, als Kunta alt war. Der qua-qua- Spieler hatte gesagt, daß er erst kürzlich von Masser Wallers Vater gekauft worden war. Wo im toubob- Land hatte er all die Regen bisher verbracht?
Kunta sah im Geiste all die anderen Afrikaner vor sich, die ihm im Laufe der drei Regen, seit er der Kutscher des Masser war, zufällig über den Weg gelaufen waren – unglücklicherweise meistens dann, wenn er den Masser fuhr und es nicht wagen konnte, ihnen auch nur zuzunicken, geschweige denn, sie kennenzulernen. Unter ihnen waren sogar zweifellos ein oder zwei Mandinkas gewesen. Die meisten Afrikaner hatte er flüchtig gesehen, wenn sie samstags morgens am Sklavenmarkt vorbeifuhren. Aber seit dem Vorfall eines Morgens vor etwa sechs Monaten war er entschlossen, soweit es irgend möglich war, ohne daß der Masser eine Absicht dabei argwöhnte, dem Sklavenmarkt
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