Wurzeln
»So, jetzt muß ich arbeiten gehn, sonst komm ich zu spät. Bis bald mal. Danke, daß du wieder mit mir redest.«
»Schon gut. Laß mich nur wissen, wann du mal reden willst!«
Auf dem Weg zu den Ställen fragte sich Kunta, wie der Fiedler nur dahintergekommen war. Und warum er so unbedingt wollte, daß er darüber sprach. Hatte Kunta sich nicht nur mit allergrößtem Widerstreben selbst erlaubt, auch nur daran zu denken? Allerdings, inzwischen schien er kaum noch an etwas anderes zu denken. Es hatte mit dem Rat des Ghanesen zu tun, seinen Samen auszusäen.
Kapitel 63
Schon lange bevor er den Ghanesen kennenlernte, hatte Kunta die Vorstellung oft beunruhigt, daß er jetzt, wäre er in Juffure geblieben, wahrscheinlich schon drei oder vier Söhne hätte – ganz zu schweigen von der Frau, die ihre Mutter wäre. Normalerweise waren ihm diese Gedanken nur gekommen, wenn er ungefähr einmal im Monat inmitten der Dunkelheit, äußerst verlegen über die heiße Feuchtigkeit, die sich gerade aus seinem noch immer steifen foto entladen hatte, aus einem Traum aufgefahren war. Wenn er dann hinterher wach lag, hatte er nicht so sehr an eine Frau gedacht, als daran, daß er kaum ein einziges Sklavenquartier kannte, in dem ein Paar, das sich mochte, nicht einfach zusammenzog und in der besseren der beiden Hütten zusammen lebte.
Es gab viele Gründe, die Kunta daran hinderten, an eine Heirat zu denken. Einmal schien ihm der Sprung über den Besenstiel, den die Brautleute vor dem versammelten Sklavenquartier zu vollführen hatten, der ernsten Angelegenheit unangemessen und lächerlich. In ein paar Fällen, von denen er gehört hatte, durften bevorzugte Hausmädchen und Diener zwar ihr Gelübde vor einem weißen Prediger wiederholen, wobei der Masser und die Mistress zusahen, aber das war eine heidnische Zeremonie. Und außerdem – wenn an Heiraten schon überhaupt irgendwie gedacht werden sollte, dann lag das richtige Alter für die Braut eines Mandinka zwischen vierzehn und sechzehn Regen und für den Mann um dreißig herum. Aber während der Jahre im Land der Weißen war Kunta nicht ein schwarzes Mädchen zwischen vierzehn und sechzehn – oder auch zwischen zwanzig und fünfundzwanzig – begegnet, das nicht nur immer albern gekichert hätte – und außerdem bemalten sich alle an Sonntagen oder zu Festen ihre Gesichter derart, daß sie ihn an die Totentänzer in Juffure erinnerten, die sich mit Asche bestreuten.
Und was die älteren Frauen anging, von denen Kunta so an die zwanzig kannte, so waren sie meist, wie Liza auf Enfield, Oberköchinnen in den Herrenhäusern, zu denen er den Masser brachte. Liza war die einzige von ihnen, die wiederzusehen er sich jedesmal freute. Sie hatte keinen Freund und zeigte ihm deutlich, ja sogar mit einem gewissen Nachdruck, ihre Bereitschaft zu engeren Beziehungen, und obwohl er nie darauf reagierte, hatte er sie doch auch schon ernstlich in Erwägung gezogen. Er wäre allerdings vor Scham gestorben, wenn sie auch nur geahnt hätte, daß sie sogar schon manchmal Gegenstand seiner feuchten Träume gewesen war.
Angenommen, dachte Kunta – nur einmal angenommen, er nähme Liza zur Frau. Das würde bedeuten, daß sie eines der vielen Paare würden, die getrennt auf den Pflanzungen ihrer Massers lebten. Gewöhnlich bekam der Mann samstags nachmittags eine Reisegenehmigung zum Besuch seiner Frau, solange er getreulich sonntags vor Anbruch der Dunkelheit zurückkehrte, um sich bis Montag bei Sonnenaufgang zum Arbeitsbeginn von seinen Reisestrapazen erholt zu haben. Kunta wollte keine Frau, die nicht mit ihm zusammen leben konnte, und er sagte sich, damit sei die Sache erledigt.
Aber sosehr er sich auch wehrte, der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Er überlegte, ob es sich bei Lizas Geschwätzigkeit und ihrem Bedürfnis, ihn ganz zu vereinnahmen, und seinem Verlangen nach stundenlangem Alleinsein nicht als Glück im Unglück entpuppen könnte, wenn sie sich nur an den Wochenenden sehen würden. Und wenn er Liza heiratete, war es sehr unwahrscheinlich, daß sie wie so viele andere Paare in der ewigen Furcht leben mußten, einer von ihnen oder alle beide würden verkauft. Der Masser schien mit ihm zufrieden zu sein, und Liza gehörte seinen Eltern, die sie anscheinend schätzten. Auch war bei den Familienbeziehungen kaum anzunehmen, daß es zu einer der Streitigkeiten kommen würde, die manchmal zwischen den beteiligten Massers ausbrach und bisweilen zum Verbot einer Heirat
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