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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Fuß.
    Nachdem er jahrelang tagsüber den Masser gefahren hatte, nur um abends nach einem hastigen, kalten Essen auf seine einsame Pritsche zu kriechen, sorgte Bell jetzt dafür, daß das gleiche Essen, das der Masser bekam – außer natürlich Schweinfleisch –, auch auf dem Feuer in ihrer Hütte brutzelte, wenn er nach Hause kam. Er aß gerne von ihrem weißen Steingutgeschirr, mit den Gabeln, Messern und Löffeln, mit denen sie sich offensichtlich aus dem Vorrat des Herrenhauses eingedeckt hatte. Bell hatte sogar die Hütte – Kunta mußte sich immer wieder in Erinnerung rufen, daß es jetzt auch seine Hütte war – außen und innen weiß angemalt. Alles in allem, stellte er nicht ohne Verwunderung fest, mochte er sie so ziemlich rundherum gern, und womöglich hätte er sich darüber geärgert, nicht schon viel früher zur Vernunft gekommen zu sein, wenn er sich nicht zu wohl gefühlt hätte, um viel Zeit an den Gedanken zu verschwenden, was er all die Jahre versäumt hatte. Er konnte kaum fassen, wie anders alles für ihn aussah; wieviel schöner das Leben jetzt war als noch vor wenigen Monaten und nur wenige Meter entfernt.

Kapitel 66
    So nahe sie sich auch seit ihrem »Sprung über den Besenstiel« gekommen waren, gab es doch Momente, in denen Kunta spürte, daß Bell ihm noch immer nicht ganz traute. Manchmal, wenn sie sich in der Küche oder in der Hütte miteinander unterhielten, war sie nahe daran, etwas zu sagen, um dann doch zu Kuntas aufwallendem Ärger, den er nur aus Stolz zu unterdrücken vermochte, schnell das Thema zu wechseln. Und mehr als einmal erfuhr er vom Fiedler oder vom Gärtner Dinge, die nur jemand hatte aufschnappen können, der sein Ohr am Schlüsselloch des Masser hatte. Es war ihm nicht wichtig, was sie ihnen erzählte, ihn verletzte nur, daß sie es nicht ihm erzählte; daß sie vor ihm, ihrem eigenen Mann, Geheimnisse hatte. Und noch bitterer war ihm, daß er ihr und den anderen immer ganz offen jede Neuigkeit, die sie sonst vielleicht nie oder erst viel später erfahren hätten, mitgeteilt hatte. Kunta begann, ganze Wochen verstreichen zu lassen, in denen er Bell nichts mehr von dem erzählte, was er in der Stadt gehört hatte. Als sie schließlich eine Bemerkung darüber machte, sagte er nur, es habe eben in letzter Zeit nichts Neues gegeben, und das sei ihm nur recht, denn meistens sei es ja doch nichts Gutes. Aber das nächste Mal, als er aus der Stadt kam, glaubte er, sie habe nun wohl ihre Lehre aus seinem Verhalten gezogen, und berichtete ihr, daß der Masser einem Freund erzählt hatte, er habe gerade gelesen, der weiße Arzt, Benjamin Rush aus New Orleans, hätte kürzlich seinen langjährigen schwarzen Assistenten, einen Sklaven namens James Derham, freigelassen, nachdem ihm klargeworden sei, daß dieser von ihm alles über Medizin gelernt habe, was er selber wisse.
    »Ist das nicht der, der dann selber Arzt geworden ist und noch berühmter wie der, der es ihn gelernt hat?« fragte Bell.
    »Wieso weißt du das? Der Masser sagt, er hat es selbst gerade erst gelesen, und hier war keiner nicht, wo du hättest hören können, wie er’s ihm erzählt«, sagte Kunta, der ebenso verärgert war wie verblüfft.
    »Ach, ich hab so meine Quellen«, antwortete Bell geheimnisvoll und wechselte das Thema.
    Für Kunta war dies das letzte Mal gewesen, daß er ihr irgendeine Neuigkeit erzählt hatte. Er verlor kein Wort mehr darüber und fast eine Woche lang auch über sonst nichts. Endlich begriff Bell und legte eines Sonntagabends, nach einem guten Essen im Kerzenlicht ihrer Hütte, den Arm um ihn und sagte leise: »Ich wollt dir schon immer mal was sagen.« Dann ging sie in ihre Schlafkammer und kam mit einer Virginia Gazette zurück, die sie, wie Kunta wußte, in einem Stapel unter ihrem Bett sammelte. Er hatte angenommen, daß sie einfach gern in den Seiten blätterte, wie es viele Schwarze und auch etliche der armen Weißen taten, die samstags in der Kreisstadt mit aufgeschlagenen Zeitungen vor der Nase herumstolzierten, obgleich Kunta wie jedermann, der sie sah, genau wußte, daß sie kein Wort lesen konnten. Aber als er jetzt Bells verstohlenes Gehabe sah, ahnte er schon, was sie ihm anvertrauen würde.
    »Ich kann ein bißchen lesen«, Bell zögerte. »Der Masser verkauft mich sofort bei Sonnenaufgang, wenn er das weiß.«
    Kunta antwortete nicht, denn er wußte aus Erfahrung, daß Bell von sich aus mehr erzählte, als wenn man ihr Fragen stellte. »Ein paar Wörter hab ich

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