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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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fremden Zeichen anzusehen. Aber dann stand Bell auf, knäulte das Stück Papier zusammen und warf es auf die verlöschende Glut der Feuerstelle. »Sie dürfen einen nie nicht mit was Geschriebenem erwischen.«
    Es vergingen etliche Wochen, bis Kunta sich entschloß, etwas gegen den Ärger zu tun, der an ihm nagte, seit Bell ihm stolz gezeigt hatte, daß sie schreiben und lesen konnte. Genau wie ihre weißen Massers schienen diese auf Pflanzungen geborenen Schwarzen es für selbstverständlich zu halten, daß die, die aus Afrika kamen, gerade erst von den Bäumen heruntergeklettert waren und von Bildung nicht die leiseste Ahnung hatten.
    Also kniete er sich eines Abends nach dem Essen wie zufällig vor die Feuerstelle in der Hütte und scharrte ein Häufchen Asche heraus, das er mit den Händen auf der Einfassung glattstrich. Während Bell ihm neugierig zusah, nahm er ein schmales, angespitztes Hölzchen aus der Tasche und begann seinen Namen in arabischen Buchstaben in die Asche zu schreiben.
    Bell unterbrach ihn mit der Frage: »Was ist das?«, und Kunta erklärte es ihr. Nachdem er ihr auf diese Weise zu verstehen gegeben hatte, daß auch er schreiben konnte, wischte er die Asche weg, setzte sich in den Schaukelstuhl und wartete darauf, daß sie ihn fragen würde, wo er es gelernt hatte. Er mußte nicht lange warten. Und für den Rest des Abends sprach er – und Bell hörte zur Abwechslung einmal zu. Mit stockenden Worten erzählte ihr Kunta, wie die Kinder in seinem Dorf mit Federn aus ausgehöhlten, getrockneten Halmen und Tinte aus mit Wasser vermischtem Ruß schreiben gelernt hatten. Er erzählte ihr von dem arafang und wie er morgens und abends seine Stunden hielt. Er erwärmte sich für sein Thema und genoß es auch, zum erstenmal Bell für eine Weile mit geschlossenem Mund zu erleben. Er erzählte ihr, daß die Schüler in Juffure ihre Prüfungen erst dann machten, wenn sie aus dem Koran lesen konnten, und er trug ihr sogar einige Koranverse vor. Es war ihr anzusehen, wie gefesselt sie war, aber es schien ihm doch verwunderlich, daß sie während der vielen Jahre, die er sie kannte, jetzt zum erstenmal so etwas wie Interesse an Afrika bezeigte.
    Bell klopfte auf den Tisch. »Wie heißt Tisch bei euch Afrikanern?« fragte sie.
    Und obwohl er seit Afrika nie mehr Mandinka gesprochen hatte, sagte er, ohne überlegen zu müssen, »meso« und freute sich darüber.
    »Und das?« fragte Bell und deutete auf ihren Stuhl. »Sirango« , sagte Kunta. Er war so stolz auf sich, daß er aufstand und auf Gegenstände deutend in der Hütte umherging.
    Er berührte Bells schwarzen Eisentopf über der Feuerstelle und sagte »kalero« , dann eine Kerze auf dem Tisch, »kandio«. Bell stand erstaunt vom Stuhl auf und ging ihm nach. Kunta stieß einen Rupfensack, in dem seine Schuhe aufgehoben wurden, an und sagte »bato« , berührte einen getrockneten Flaschenkürbis und sagte »mirango« , dann einen Korb, den der alte Gärtner geflochten hatte, »sisingo«. Er führte Bell in die Schlafkammer, sagte »larango« und deutete auf ihr Bett, und »kunglarang« zum Kopfkissen. Das Fenster nannte er »janerango« und das Dach »kankarango«.
    »Gott steh mir bei!« rief Bell aus. Und darin schwang mehr Achtung für seine Heimat mit, als er je in Bell wecken zu können gehofft hatte.
    »Jetzt wird’s aber Zeit, daß wir unsern Kopf auf das kunglarang legen«, sagte Kunta, setzte sich auf die Bettkante und begann sich auszuziehen. Bell zog die Brauen hoch, lachte dann und legte ihre Arme um ihn. Er hatte sich seit langem nicht so wohl gefühlt.

Kapitel 67
    Obwohl Kunta den Gärtner und den Fiedler immer noch gern besuchte und sich Geschichten mit ihnen erzählte, kam es lange nicht mehr so häufig vor wie früher, als er noch ledig war. Das war nicht weiter verwunderlich, weil er ja nun seine freie Zeit meist mit Bell verbrachte. Aber selbst wenn sich die Männer gelegentlich trafen, schienen sie ihn jetzt mit anderen Augen zu sehen. Sie waren keineswegs unfreundlich, doch zweifellos weniger leutselig. Dabei waren sie es im Grunde gewesen, die Kunta in Bells Arme getrieben hatten, aber seit er verheiratet war, benahmen sie sich ein bißchen so, als hätten sie Angst, angesteckt zu werden – oder im Gegenteil, als würde ihnen das nie passieren; seine offensichtliche Zufriedenheit mit Haus und Herd machte ihre kalten Winternächte nicht wärmer. Doch obwohl sich Kunta ihnen nicht mehr ganz so nahe fühlte wie in der Zeit ihrer

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