Wurzeln
geübt hatten, zusammen hoch über den Besenstiel hinweg. Kunta kam sich dabei höchst lächerlich vor, aber Bell hatte ihn gewarnt, es würde einer Ehe das größtmögliche Unglück bringen, wenn der Fuß eines von beiden den Besenstiel berührte, und außerdem würde der, dessen Fuß es gewesen war, als erster sterben. Als sie sicher auf der anderen Seite des Besenstiels gelandet waren, klatschten alle Zuschauer Beifall und ließen sie hochleben, und als sie sich beruhigt hatten, sprach Tante Sukey wieder: »Was Gott verbunden hat, soll kein Mensch auseinanderreißen. Jetzt seid euch treu.« Sie sah Kunta an. »Und seid gute Christen.« Dann wandte sie sich an Masser Waller. »Masser, wollt Ihr vielleicht auch irgendwas zu der Gelegenheit sagen?«
Der Masser sah entschieden nicht so aus, als lege er Wert darauf, trotzdem trat er vor und sagte leise: »Mit Bell hat er eine gute Frau. Und sie hat einen guten Jungen. Meine Familie und ich wünschen ihnen ein glückliches Leben.« Die darauf ausbrechenden Hochrufe wurden nur von den fröhlichen Schreien Missy Annes übertönt, die auf und ab hüpfte, bis ihre Mutter sie am Arm packte und alle Wallers sich ins Herrenhaus zurückzogen, damit die Schwarzen ihr Fest auf ihre Weise feiern konnten.
Tante Sukey und andere Freundinnen von Bell hatten geholfen, so viel Essen vorzubereiten, daß der Tisch fast unter den Töpfen verschwand. Und alle feierten fröhlich und gutgelaunt und bedienten sich von dem Brandy und Wein, den der Masser als Geschenk aus dem Keller des Herrenhauses heraufgeschickt hatte – außer Kunta und dem Ghanesen. Der Fiedler hatte schon seit Beginn des Festes laut und unermüdlich gespielt – wie er trotzdem etwas zum Trinken ergattert hatte, war Kunta ein Rätsel, aber so, wie er beim Spielen schwankte, konnte kein Zweifel bestehen, daß es ihm sogar reichlich gut gelungen war. Er hatte den Fiedler schon so oft beim Trinken erlebt, daß er sich damit abgefunden hatte, aber als er jetzt sah, wie Bell ihr Glas immer wieder mit Wein füllte, wurde er unruhig und besorgt, und es versetzte ihm einen ziemlichen Schock, als er hörte, wie sie ihrer anderen Freundin, Schwester Mandy, zurief: »Hab schon seit zehn Jahren ein Auge auf ihn gehabt!« Wenig später wankte sie auf ihn zu, umarmte ihn und küßte ihn vor all den Leuten mit ihren rohen Witzen, Rippenstößen und kreischendem Gelächter – mitten auf den Mund. Kunta war angespannt wie eine Bogensehne, als die Gäste endlich aufzubrechen begannen. Aber schließlich waren sie doch allein auf dem Rasen, und Bell winkte ihm mit unsicheren Bewegungen zu und lallte sanft: »Jetzt, wo du die Kuh gekauft hast, kriegst du so viel Milch, wie du willst.« Er war entsetzt, sie so sprechen zu hören.
Aber er brauchte nicht allzulange, um darüber hinwegzukommen. Im Laufe nur weniger Wochen erfuhr er eine ganze Menge darüber, wie eine große, starke, gesunde Frau wirklich ist. Seine Hände hatten in der Dunkelheit erkundet, daß Bells dicker Hintern absolut echt war und nicht etwa aus einem der Polster bestand, die, wie er gehört hatte, viele Frauen unter ihren Röcken trugen, um einen größeren Hintern vorzutäuschen, als sie in Wirklichkeit hatten. Und obwohl er sie noch nie ganz nackt gesehen hatte – Bell blies immer vorher die Kerzen aus –, hatte er doch ihre Brüste sehen dürfen, die, wie er befriedigt feststellte, groß genug waren, um einen Babyjungen reichlich mit Milch zu versorgen, und das war gut. Aber als er zum erstenmal die tiefen Peitschenstriemen auf ihrem Rücken entdeckte, erschrak er. »Ich nehm die Narben mit ins Grab, wie meine Mammy auch«, sagte Bell und fügte zu Kuntas Überraschung hinzu: »Aber mein Rücken ist mal bestimmt nicht so schlimm wie deiner.« Er wußte nicht, wie sein Rücken aussah, und er hatte all die Peitschenhiebe vor über zwanzig Jahren fast schon vergessen.
Kunta genoß es sehr, neben Bells allgegenwärtiger Wärme in ihrem großen Bett auf einer weichen Matratze zu schlafen, die nicht mit Stroh, sondern mit Baumwolle gefüllt war. Ihre selbstgemachten Steppdecken waren weich und warm, und zwischen zwei Bettüchern zu liegen war für ihn eine völlig neue und höchst angenehme Erfahrung. Fast ebenso angenehm waren ihm die gutsitzenden Hemden, die sie ihm nähte und täglich wusch, stärkte und bügelte. Bell machte sogar das Leder seiner ungefügen Stiefel mit Talg geschmeidig und strickte ihm noch weitere Socken mit dicken Polstern für seinen halben
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