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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Kameradschaft, die sie trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft als Ledige miteinander verbracht hatten, spürte er, daß sie ihm irgendwie mehr Achtung zollten, so als sei er durch die Heirat mit Bell einer der Ihren geworden. Ihre Gespräche mit dem verheirateten Freund waren nicht mehr so derb wie früher zuweilen (nicht daß Kunta seinen Spaß an den Grobheiten des Fiedlers je auch nur vor sich selbst eingestanden hätte), und sie hatten im Laufe der Jahre mit wachsendem Vertrauen an Tiefe und Ernst gewonnen.
    »Angst haben sie!« verkündete der Fiedler eines Abends. »Darum sind die Weißen so hinter ihrer Volkszählung her! Die haben bloß Schiß, sie könnten schon mehr Nigger hergeholt haben, wie Weiße da sind!«
    Kunta berichtete, Bell habe in der Gazette gelesen, daß es laut Volkszählung in Virginia nur ein paar tausend Weiße mehr als Schwarze gäbe.
    »Die Weißen haben mehr Schiß vor freien Niggern wie vor unsereinem«, warf der alte Gärtner ein.
    »Hab gehört, es gibt ungefähr 60000 freie Nigger allein in Virginia«, sagte der Fiedler. »Da kann man gar nicht sagen, wie viele Sklaven-Nigger noch außerdem. Und dabei hat dieser Staat nicht mal die meisten. Die sind weiter unten im Süden, wo’s das fetteste Land und die besten Ernten gibt, und Wasser, auf dem man die Ernte mit Booten zum Markt fahren kann, und …«
    »Ja, wirklich, da unten kommen zwei Nigger auf jeden Weißen!« unterbrach der alte Gärtner. »Im Louisiana-Delta und dem Mississippi, wo sie Zuckerrohr anbauen, und in dem schwarzen Streifen von Alabama, Süd-Carolina und Georgia, wo all der Reis und Indigo wächst … Ich sag euch, da unten auf den ganz großen Pflanzungen, die vom Weg abliegen, da gibt’s massenhaft Nigger, die gar nicht mitgezählt worden sind.«
    »Ein paar von den Plantagen da sind so riesengroß, daß sie sie in kleine Stücke teilen müssen, mit Aufsehern auf jedem«, sagte der Fiedler. »Und die Massers, denen sie gehören, das sind meistens so aufgeplusterte Advokaten und Politiker und Handelsleute, die in der Stadt wohnen, und denen ihre Weiber haben nichts mit den Plantagen im Sinn, außer vielleicht mal in feinen Kutschen zu Thanksgiving oder Weihnachten rausfahren oder im Sommer ein Picknick machen, damit sie vor ihren Freunden angeben können.«
    »Aber wißt ihr was?« rief der alte Gärtner. »Grade unter den reichen weißen Stadtleuten sind die meisten, die gegen die Sklaverei reden!«
    Der Fiedler schnitt ihm das Wort ab. »Pah! Das bedeutet gar nichts! Solche großen weißen Leute hat’s schon immer gegeben, die die Sklaverei abschaffen wollen. Blödsinn! Hier in Virginia ist die Sklaverei längst verboten, wenn’s nach dem Gesetz geht, seit zehn Jahren schon – aber Gesetz oder nicht, wir sind allemal noch Sklaven, wie ihr seht, und die Massers bringen weiter ganze Schiffsladungen von Niggern her.«
    »Wo bringen sie die bloß alle hin?« fragte Kunta. »Ich kenn ein paar Kutscher, die sagen, sie fahren ihre Massers tagelang rum und sehn für lange Strecken kein schwarzes Gesicht außer ihrem.«
    »Es gibt ’ne Menge Distrikte, wo keine einzige richtig große Pflanzung drauf ist«, sagte der Gärtner, »und beinah gar keine Nigger. Nichts wie mickrige kleine Farmen mit Steinboden, der Morgen zu fünfzig Cents, und die Weißen da sind so arm, daß sie Dreck fressen. Und die, die nicht viel besseres Land haben und höchstens ’ne Handvoll Sklaven, die sind auch nicht viel besser dran.«
    »Ich hab von ’ner Gegend gehört, wo es mehr Nigger gibt wie bloß ’ne Handvoll«, sagte der Fiedler, zu Kunta gewandt. »Westindien oder so ähnlich. Weißt du, wo das ist? Soll überm Wasser liegen, wo du ja auch hergekommen bist.«
    Kunta schüttelte den Kopf, und der Fiedler fuhr fort: »Na, jedenfalls sollen da einem einzigen Masser manchmal tausend Nigger gehören, und die bauen und schneiden das Rohr, wo Zucker und Melasse und Rum draus gemacht werden. Manche erzählen auch, massenhaft Schiffe wie das, mit dem du rübergebracht worden bist, laden ihre Nigger aus Afrika erst mal für ’ne Weile in diesem Westindien ab und päppeln sie ’n bißchen auf, wenn sie nach den langen Reisen halbtot sind von Krankheit und Hunger. Da füttern sie sie raus, und dann bringen sie sie her, damit sie bessere Preise für Nigger kriegen, die ordentlich arbeiten können. Wenigstens hab ich das gehört.«
    Kunta kam aus dem Staunen nicht heraus, daß der Fiedler und der Gärtner soviel über Dinge wußten, die

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