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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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»Die Schwarze lebt noch bei ihr und pflegt sie, und keine von beiden hat je geheiratet!«
    Wenn Bell mit ihrer Geschichte beabsichtigt hätte, Kunta gegen die Freundschaft zwischen Schwarzen und Weißen einzunehmen, statt ihn für sie günstig zu stimmen, sie hätte ihre Sache nicht beredter verfechten können.

Kapitel 70
    Ungefähr seit Kizzys Geburt brachten sowohl Kunta als auch der Fiedler ab und zu Nachrichten über eine Insel mit, die jenseits des großen Wassers lag und »Haïti« genannt wurde. Dort sollte es rund 36000 Weiße geben, meist Franzosen, denen gegenüber die etwa eine halbe Million Schwarzen weit in der Überzahl waren; man hatte sie auf Sklavenschiffen von Afrika herübergebracht, damit sie auf riesigen Pflanzungen Zuckerrohr, Kaffee, Indigo und Kakao anbauten. Dazu sagte Bell eines Abends, sie habe Masser Waller seinen Gästen beim Dinner erzählen hören, daß zuverlässigen Berichten zufolge die reichen Weißen auf Haïti lebten wie die Könige und beständig die ärmeren Weißen, die sich keine Sklaven leisten konnten, demütigten und vor den Kopf stießen.
    »Stellt euch das vor!« sagte der Fiedler schadenfroh. »Wer hätte das je von den Weißen gedacht?«
    »Pscht!« machte Bell lachend und fuhr dann fort, der Masser habe seinen entsetzten Gästen weiter erzählt, in Haïti hätten sich die weißen Männer seit Generationen derartig mit schwarzen Sklavinnen eingelassen, daß es nun fast 28000 Mulatten und Hellbraune dort gebe. Man nenne sie ganz allgemein »Farbige«, und sie seien mittlerweile fast alle von ihren französischen Besitzern und Vätern freigelassen worden. Einer der Gäste, sagte Bell, habe daraufhin behauptet, diese »Farbigen« suchten sich ausnahmslos noch hellere Gefährten, im Bestreben, ganz weiß erscheinende Kinder zu bekommen, und diejenigen, denen man das Mulattenblut trotzdem noch ansähe, würden Beamte bestechen, um Bescheinigungen zu erhalten, daß ihre Ahnen Spanier oder Indianer gewesen seien – alles, nur nicht Afrikaner. Masser Waller hätte geantwortet, so erstaunlich und beklagenswert er dies auch finde, so sei doch eine beträchtliche Anzahl dieser »Farbigen« durch Schenkungen oder letztwillige Verfügungen der Weißen in den Besitz von mindestens einem Fünftel des Bodens – und der Sklaven! – von Haïti gekommen, so daß sie nach Frankreich reisen und ihre Kinder dort erziehen lassen könnten, geradeso wie die reichen Weißen, und sich sogar über ärmere Weiße erhaben dünkten. Bells Zuhörer waren über diese Kunde ebenso entzückt, wie die des Masser entrüstet gewesen waren.
    »Ihr lacht euch kaputt«, unterbrach der Fiedler, »wenn ich euch erzähl, wie die reichen Masser unter sich geredet haben, neulich, als ich zu so ’nem feinen Cotillon aufgespielt hab.« Die Massers hätten einander besorgt zugenickt, als das Gespräch auf die armen Weißen in Haïti gekommen war, die die Mulatten und Milchkaffeebraunen derartig haßten, daß sie schon Petitionen unterzeichnet hatten, damit Frankreich endlich Gesetze erlasse, die den »Farbigen« ein für allemal verbieten würden, nachts die Straßen zu benutzen, in der Kirche neben Weißen zu sitzen oder auch nur die gleichen Kleiderstoffe zu tragen. Inzwischen, sagte der Fiedler, ließen beide Parteien, Weiße und »Farbige«, den Groll, den sie gegeneinander hegten, an Haïtis halber Million schwarzer Sklaven aus. Dazu sagte Kunta, er hätte in der Stadt aufgeschnappten Gesprächsfetzen von lachenden Weißen entnommen, daß es den Sklaven auf Haïti jetzt schlechter erginge als hier. Schwarze würden zur Strafe bedenkenlos totgeprügelt oder lebendig begraben, und schwangere schwarze Frauen würden oft so lange zur Arbeit gezwungen, bis sie Fehlgeburten erlitten. Da Kunta das Gefühl hatte, es sei sinnlos, seine Freunde noch mehr zu ängstigen, erzählte er nichts von den noch unmenschlicheren Grausamkeiten, die ihm zu Ohren gekommen waren: einen schwarzen Mann hatte man mit den Händen an eine Wand genagelt und genötigt, seine eigenen abgeschnittenen Ohren zu essen; eine toubob- Frau hatte ihren sämtlichen Sklaven die Zungen herausschneiden lassen, eine andere hatte ein schwarzes Kind so lange geknebelt, bis es verhungert war.
    Da solche Schreckensgeschichten in den folgenden neun oder zehn Monaten immer höhere Wogen schlugen, überraschte es Kunta nicht, im Sommer 1791 auf einer seiner Fahrten zur Stadt zu erfahren, daß die schwarzen Sklaven Haïtis sich in einer wilden, blutigen

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