Wurzeln
Empörung erhoben hatten. Tausende von ihnen hatten sich auf die Weißen gestürzt, Männer niedergeknüppelt, geschlachtet und geköpft, Kindern den Leib aufgeschnitten, Frauen entführt und jedes Plantagengebäude angezündet, bis das nördliche Haïti in rauchenden Trümmern lag und die weiße Bevölkerung, die dem Massaker hatte entkommen können, zurückschlug – folterte, tötete, ja man zog sogar jedem Schwarzen, dessen man habhaft werden konnte, die Haut ab. Aber die geringe Zahl der weißen Überlebenden schwand vor der sich wild ausbreitenden schwarzen Revolte zusehends dahin, bis Ende August die paar tausend Weißen, die noch lebten, in Schlupfwinkeln hockten oder alles versuchten, von der Insel zu fliehen.
Kunta sagte, er hätte die toubobs von Spotsylvania County nie zuvor so aufgebracht und besorgt erlebt. »Sieht so aus, als hätten sie jetzt sogar mehr Angst wie beim letzten Aufstand hier in Virginia«, meinte der Fiedler. »Das war so ein, zwei Jahre nachdem du hergekommen bist, aber da hast du ja fast mit keinem nicht geredet und hast es, glaub ich, gar nicht richtig mitgekriegt. Damals war’s drüben in New Wales, Hanover County, grad zu Weihnachten. Ein Aufseher hatte einen jungen Nigger zu Boden geschlagen, aber der Nigger ist wieder aufgesprungen und ist mit ’ner Axt auf ihn losgegangen. Er hat zwar danebengehauen, aber da sind die andern Nigger über den Aufseher hergefallen und haben ihn so zusammengeschlagen, daß der erste Nigger schließlich dazwischenging und ihm das Leben gerettet hat. Der Aufseher ist um Hilfe gerannt, über und über blutig, wie er war, aber inzwischen haben sich die wütenden Nigger zwei andere Weiße geschnappt, sie gefesselt und auch verprügelt, bis ein Haufen Weißer mit Gewehren angerannt kam. Da sind die Nigger in einer Scheune in Deckung gegangen. Die Weißen haben’s mit gutem Zureden versucht, aber die Nigger sind mit Faßdauben und Dreschflegeln rausgestürmt gekommen, zwei Nigger wurden totgeschossen, aber auch ’ne Menge Weiße und Nigger verwundet. Danach haben sie dann Milizstreifen eingerichtet und ’n paar neue Gesetze durchgebracht, und nach und nach ist die Sache abgeflaut. Aber nun hat der Haïti-Aufstand den Weißen hier das Gedächtnis aufgefrischt; sie wissen so gut wie ich, daß sie selbst ’n Haufen Nigger grad vor ihrer Nase haben, die bloß auf den zündenden Funken warten, und dann machen sie auch ’ne Revolte, und wenn sich das ausbreitet, geht’s hier in Virginia bald genauso zu wie in Haïti.«
Es war klar, daß der Fiedler den Gedanken sehr genoß.
Kunta sah selbst, sobald er in die Stadt kutschierte, daß die Weißen sich fürchteten. Vor Eckläden, Kneipen, kirchlichen Gemeindehäusern standen sie in kleinen, erregten Gruppen zusammen und schauten mit roten, grimmigen Gesichtern zu Kunta oder sonst einem vorbeikommenden Schwarzen herüber. Und der Masser, der selten mehr zu Kunta sagte, als wohin er gefahren werden wollte, brachte es fertig, sogar diese wenigen Worte schroffer und kälter als sonst klingen zu lassen. Binnen einer Woche patrouillierte die Spotsylvania-Miliz auf allen Straßen, verlangte von jedem Schwarzen einen Passierschein und genaue Auskunft über sein Woher und Wohin, und wer immer ihnen verdächtig vorkam, wurde mißhandelt und eingesperrt. Bei einem Bezirkstreffen der weißen Pflanzer wurde das herannahende alljährliche Erntefest der Schwarzen kurzerhand gestrichen, jegliche Zusammenkunft von Sklaven außerhalb ihrer heimischen Plantagen verboten, und selbst innerhalb deren Begrenzungen durften die Sklaven ihre kleinen Tanzereien und Betstunden jetzt nur noch im Beisein eines Aufsehers oder einer anderen weißen Respektsperson abhalten. »Als der Masser davon zu reden anfing«, erzählte Bell den Mitbewohnern des Sklavenquartiers, »hab ich gesagt, ich und Tante Sukey und Schwester Mandy, wir fallen jeden Sonntag auf die Knie und beten zu Jesus, und das tun wir auch sonst, sooft wir können. Er hat aber nichts davon gesagt, daß wir bewacht werden sollen, also machen wir einfach weiter mit Beten!«
Abends, wenn sie mit Kunta und Kizzy allein zu Hause war, buchstabierte sich Bell auf der Suche nach den neuesten Nachrichten mühsam durch verschiedene Zeitungen, die der Masser weggeworfen glaubte. Sie brauchte für einen längeren Artikel fast eine Stunde, ehe sie Kunta mitteilen konnte: »Da ist so ’ne Ge-setz-vor-la-ge …«, Bell hielt inne, um tief Luft zu holen, »… also, die ist jetzt
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