Wurzeln
ra-ti-fi-ziert worden oder so.« Aber es gab auch viele Berichte über die letzten Ereignisse auf Haïti, von denen sie die meisten schon gerüchteweise von anderen Sklaven vernommen hatte. Der springende Punkt, sagte Bell, war, daß der Aufstand von Haïti auch den unzufriedenen Schwarzen in diesem Lande tollkühne Ideen in den Kopf setzen könnte, und deshalb müsse man mit strengsten Beschränkungen und Strafandrohungen arbeiten. Dazu sagte Bell, während sie die Zeitungen zusammenfaltete und weglegte: »Sieht aus, als könnten sie nu nicht mehr viel gegen uns machen. Oder sie müßten uns schon alle in Ketten legen, mein ich.«
In den nächsten Monaten ebbten die Nachrichten über weitere Entwicklungen auf Haïti allmählich ab, und im gleichen Maße lockerten sich die Spannungen und strengen Vorschriften. Die Erntezeit begann, und die Weißen gratulierten einander zu den fabelhaften Baumwollerträgen – und den Rekordpreisen, die sie dafür erzielten. Der Fiedler wurde so oft zum Aufspielen zu den großen herrschaftlichen Bällen und Festlichkeiten geschickt, daß er tagsüber zu Hause fast nichts anderes tun konnte als schlafen. »Scheint so, als ob die Massers jetzt mit der Baumwolle so viel Geld machen, daß sie sich allesamt zu Tode tanzen!« sagte er zu Kunta.
Trotzdem dauerte es nicht lange, bis die Weißen wieder einen Grund zur Klage fanden. Bei seinen Fahrten mit dem Masser zur Kreisstadt hörte Kunta neuerdings viel ärgerliches Gerede über die wachsende Anzahl von »Vereinen wider die Sklaverei«, die von »Verrätern der weißen Rasse« organisiert wurden, und zwar nicht nur im Norden, sondern auch im Süden. Mit ungläubiger Miene erzählte er Bell davon, aber die sagte, sie hätte in den Zeitungen des Masser schon genau dasselbe über diese Vereine gelesen, die ihr jüngstes, rasches Erstarken auf Haïtis Sklavenrevolte zurückführten.
»Ich hab dir ja immer gesagt, daß es auch gute Weiße gibt!« rief sie. »Tatsache, ’ne ganze Menge von denen war von Anfang an gegen die Sklavenschiffe und daß ihr Nigger von Afrika überhaupt rübergebracht worden seid.« Kunta fragte sich, wo in aller Welt nach Bells Meinung ihre eigenen Großeltern herstammten, aber sie war so in Fahrt, daß er es auf sich beruhen ließ. »Nämlich jedesmal, wenn so was in den Zeitungen steht«, fuhr Bell fort, »gehn die Massers in die Luft und nörgeln und schimpfen auf die ›Feinde des Vaterlands‹ und was nicht alles, aber was viel wichtiger ist: je mehr von den Weißen, die gegen die Sklaverei sind, laut sagen, was sie denken, desto mehr von den andern Massers denken heimlich im Herzen drüber nach, ob sie nicht unrecht tun.« Sie sah Kunta fest an. »Besonders wenn sie sich Christen nennen.«
In ihren Augen funkelte es schlau. »Was meinst du denn, worüber ich und Tante Sukey und Schwester Mandy sonntags reden, wenn der Masser denkt, wir tun nichts als singen und beten? Ich paß immer genau auf, was die Weißen machen. Denk nur mal an die Quäker. Die waren immer gegen die Sklaverei, sogar schon vor der Revolution, ich mein die hier in Virginia. Und dabei waren sie selber Sklavenbesitzer. Aber dann fingen die Prediger an damit, daß Nigger auch Menschen wären, mit dem Recht auf Freiheit wie alle andern, und du weißt wohl noch, wie die ersten Quäker-Massers ihre Nigger freiließen, und sie haben ihnen sogar geholfen, rauf nach Norden zu kommen. Jetzt ist es schon so weit, daß Quäker, die ihre Nigger behalten, von den andern schief angesehn werden; wenn sie nicht nachgeben, werden sie aus ihrer Kirche verstoßen. Die machen heute keine halben Sachen mehr!«
Nach einer kleinen Kunstpause fuhr Bell fort: »Und dann die Methodisten, die waren die nächsten. Vor zehn, elf Jahren, da hatten sie eine ganz große Versammlung in Baltimore, wo sie sich alle einig wurden, Sklaverei ist gegen Gottes Gebote und keiner, der sich Christ nennt, darf andern antun, was er selber nicht angetan haben möchte. Also, es sind hauptsächlich Methodisten und Quäker, die immer mit ihrer Kirche kommen und Gesetze verlangen, um die Nigger zu befreien. Die Weißen von den Baptisten dabei – na ja, die sind mehr halbe-halbe. Sie kümmern sich lieber um ihre eigene Freiheit, auch beim Gottesdienst, und wie sie ein reines Gewissen und ihre Nigger zugleich behalten können.«
Trotz allem, was Bell über weiße Gegner der Sklaverei zu sagen wußte – auch wenn sie es in den Zeitungen des Masser las –, war Kunta noch kein einziges
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